Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit
Das erste Mal
„Gerhard, du bist doch jetzt im zweiten Semester. Da könntest du doch mal einen Gottesdienst halten. Ich bin am 24. September in Oestheim (bei Schillingsfürst) eingeteilt und kann jetzt doch nicht. Außerdem kennst du doch schon ein wenig die Gemeinde. Du spielst doch dort alle zwei Wochen die Orgel“. So redete ein Freund im Sommer 1978 mit mir.
Er hatte in allen Punkten Recht. Aber es kostet vermutlich jedem eine gewisse Überwindung, zum ersten Mal in einem sonntäglichen Hauptgottesdienst zu predigen und auch den gesamten Gottesdienst zu leiten. Gut, vor der Liturgie hatte ich keinen Bammel. Schließlich spielte ich seit Jahren sonntäglich die Orgel. Aber die erste Predigt?? „Gut. Mache ich für dich. Einmal muss es ja sein“. Meine Antwort erfreute meinen Freund, der gerade vor dem ersten Examen stand und schon viele Jahre Predigterfahrung hatte.
Ich suchte den Text heraus und fand: Apostelgeschichte 16, 9 – 16. Es ist die Geschichte, in der Paulus nach Philippi kam und die Purpurhändlerin Lydia sich bekehrte (siehe mein Update 142 vom 04.08.2020). Ich fahre also am 24.09.1978 nach Oestheim und bereite mich in der Sakristei auf den Einsatz vor. Die Liturgie klappt. Ich gehe auf die Kanzel. Nach dem sog. Kanzelgruß folgt die Textlesung, stilles Gebet und die Predigt beginnt.
Ich schaue auf die Zuhörer und was sehe ich unter anderem? Meinen Freund!! Er sitzt in der Empore bei den Männern. Er versucht sich etwas wegzudrücken. Aber ich sehe ihn. Im Stillen denke ich beim Reden: Hatte er nicht gesagt, keine Zeit zu haben??!! Im Gottesdienst waren noch einige Freunde von mir.
Danach redeten wir miteinander. Ich aber wollte nur mit meinem „verhinderten“ Predigerfreund reden. „Hattest du nicht gesagt, du bist heute nicht da und ich sollte für dich den Gottesdienst halten?“ „Ja, schon. Aber ich wollte unbedingt, dass du einmal selbst den Gottesdienst mit Predigt machst. Und da habe ich zu einer Notlüge gegriffen“. Tja, was sollte ich dazu sagen. Aber vielleicht muss jede/r angehende/r Pfarrer/in zu ihrem/seinem Glück – sprich zum ersten Gottesdienst – geholfen werden. Anders wäre der Mut vielleicht doch nicht so groß.
Persönlich war für mich noch interessant, dass mein Vater mir an diesem Tag erklärte, dass am Verlobungssonntag meiner Eltern 1955 ebenfalls dieser Text gepredigt wurde. Und das war für die beiden ein besonderes Geschenk. Denn meine Mutter hieß: Lydia!!