Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit
All Morgen ist ganz frisch und neu
„All Morgen ist ganz frisch und neu, des Herren Gnad und große Treu; sie hat kein End den langen Tag, drauf jeder sich verlassen mag. O Gott, du schöner Morgenstern, gib uns, was wir von dir begehrn. Zünd deine Lichter in uns an, lass uns an Gnade kein Mangel han“.
Dieses Morgenlied unter der Nr. 440 (deshalb beim heutigen Update) im Evangelischen Gesangbuch weckt in mir das, was ich am Morgen oft verspüre: Morgenlust, Freude auf den vor mir liegenden Tag. Ich denke an Dietrich Bonhoeffer, der davon gesprochen hat, dass die Nacht die Tageszeit der Dämonen ist und der Morgen die Tageszeit der Engel.
„Morgenstund hat Gold im Mund“. Dieser pädagogische Lehrsatz wurde sicherlich nicht nur mir oft genug schon als Kind gesagt. Ich habe lange gebraucht, um auch die Menschen verstehen zu können, die sich am Morgen schwer tun. Das sind die „Nachteulen“. Sie leben am Abend auf und kommen am Morgen kaum aus den Federn. Mittlerweile habe ich auch Menschen kennengelernt, die leicht in Depression fallen und dann erst recht kaum vor Mittag aus dem Bett kommen.
Ich schaue auf den Liedtexter und lese Johannes Zwick um 1541. Das weckt mein Interesse. Denn damit hat er noch Martin Luther gekannt, der fünf Jahre später gestorben ist. Zu dieser Zeit wüstete die Pest. Johannes Zwick lebte als Jurist in Konstanz und predigte dort. Er gilt als „Reformator in Konstanz“. Als Seelsorger erlebte er das Elend dieser Epidemie am eigenen Leib. 1540 wäre er fast daran gestorben. Er überlebte diese und noch andere Perstwellen. Im nahegelegenen Bischofszell vertrat er einen Kollegen und setzte sich dort selbstlos für die Todkranken ein. Nach sechs Wochen erlag er der Pest am 23.10.1542 und hinterließ als Vermächtnis viele Glaubens- und Trostlieder.
Dieses Lied „All Morgen ist ganz frisch und neu“ ist offenbar nach dem bekanntesten Vers aus den Klageliedern des Jeremias gedichtet worden. „Die Güte des HERRN ist es, dass wir nicht gar aus sind; seine Barmherzigkeit hat doch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu und deine treue ist groß“ (Klagelieder 3, 23). Wer hätte das gedacht, dass dieses erfrischende Lied aus einer Epidemie- und Todeserfahrung kommt. Durchaus auch ein Weg für uns heute. Nicht nur auf diese Coronaepidemie zu schauen, sondern auf den, der mein Leben erhält und der meine Zeit kennt.
„Treib aus, o Licht, all Finsternis, behüt uns, Herr, vor Ärgernis, vor Blindheit und vor aller Schand und reich uns Tag und Nacht dein Hand. Zu wandeln als am lichten Tag, damit, was immer sich zutrag, wir stehn im Glauben bis ans Ende und bleiben von dir ungetrennt“.