Tägliche Gedanken in einer schwierigen Zeit, heute von Lektorin Christl Schäfer-Geiger
Der König kommt!
Meine sehr verehrten Damen und Herrn, Ladies and Gentlemen,
hochverehrtes Publikum,
ich darf Ihnen die freudige Nachricht überbringen:
Er kommt! Er ist im Anmarsch! Seine Ankunft steht unmittelbar bevor.
Seine Erhabenheit, Ihre Durchlaucht, der Souverän des Staates, der König kommt zu uns.
Der König zieht bei uns ein.
Na, wenn das kein Grund zur Freude ist!
Jubelt laut, freut Euch!
Steckt Fahnen raus. Breitet den roten Teppich aus! Schmückt die Häuser, kehrt die Straßen.
Denn das ist ganz großes Kino! Ein Weltereignis!
Und er kommt tatsächlich.
Aber wie? In welchem Auto? Was wird er anhaben?
Seidenhemd und goldbestickte Krawatte? Oder einen dieser edlen Anzüge, vielleicht handgemachte Lederschuhe.
Und was wird er für ein Gefolge mitbringen?
Die „man in black“, die Sicherheitsleute, mit ernstem Gesicht und Funk im Ohr werden die Lage noch mal durchchecken und aufpassen, dass keiner dem König zu nahe kommt.
Die Spannung steigt. Die Menge ist schon ganz nervös. Und da ist er: Der König!!!
Und er … reitet auf einem Esel! Was soll das?
Einfachste Klamotten.
Kein Prunk, kein Glamour? Keine Fanfaren? Kein roter Teppich! Kein machtvolles Spektakel mit viel Show drum rum.
Ich bin enttäuscht!
Der König kommt auf einem kleinen grauen Esel.
Dabei habe ich mir doch einen anderen ersehnt.
Einen King, der endlich Schluss macht mit all dem Krieg auf dieser Welt. Der es schafft, dass die Flüchtlingsströme austrocknen. Der ein Coronavirus einfach wegpustet.
Einen, der die Welt rettet.
Und dann so was. Eine lächerliche Figur auf einem Esel.
Die Welt retten, das ist eine ernste Angelegenheit!
Eine Aufgabe für mutige, verwegene Männer
Und zu allem entschlossene Frauen.
Eine Aufgabe für Superhelden –
Und für einen Esel!
Gott braucht für seine Weltrettung tatsächlich auch einen Esel.
Was will er mir denn damit sagen?
Das passt ja nicht zusammen.
König und Diener.
Machtanspruch und Friedfertigkeit.
Kriegswaffen-Zerstörer und Eselreiter.
Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und auf einem Esel.
Meine Freude soll sich auf einen König beziehen, der anders ist, als alle anderen. Da soll einer kommen, der wirklich Frieden bringt, der gerecht ist und den Menschen hilft.
Ohne eigene Interessen zu verfolgen, ohne mit der Macht zu jonglieren, ohne sich groß zu machen auf Kosten anderer.
Dieser ist anders. Er trägt keine blitzende Rüstung, er verzichtet auf die übliche Militärparade.
Dieser König verfolgt ein ganz anderes Programm und er zeigt es auch deutlich: Wer Frieden will, muss abrüsten. Er muss das einseitig tun und er muss selbst damit beginnen.
Er geht den Weg der Gewaltlosigkeit.
Und er begibt sich so weit herab, dass ich ihn sehen kann. Er will meine Sprache sprechen, will mir sagen, dass er auch wegen mir kommt, um Frieden zu bringen.
Warum reitet er auf einem Esel?
Vielleicht ist der Esel ein wichtiger Aspekt in der Geschichte.
Landläufig schreibt man ihm eher Dummheit zu, so ein „dummer Esel“ sagt man. Außerdem soll er störrisch und faul sein.
Esel sind aber sehr kluge Tiere, die nicht den Fluchtinstinkt eines Pferdes, sondern eher den vollen Durchblick haben.
In Fachartikeln kann man über den Esel lesen: Edelmut gehört zu seinen größten Stärken. Als loyaler Partner führt er die ihm auferlegten Dienste zuverlässig und treu aus. Wittert er eine Bedrohung, so wägt er – klug und mit Bedacht – zunächst die Lage ab und stellt sich, wenn nötig, furchtlos jeder Gefahr. Dabei riskiert er seine Haut auch mal für andere. Er liebt geselliges Beisammensein und teilt gern mit anderen.
Das klingt eher so, als ob „Du Esel“ weniger ein Schimpfwort, als ein Kompliment ist. Dieses Tier steht für Klugheit, Friedfertigkeit, Hilfsbereitschaft, Gelassenheit und Freundschaft und ist ein Symbol für das, was unser König uns bringen will.
Für Ostern habe ich mir vorgenommen, den Mann auf dem Esel mal zu begleiten. Ich will mutig und klug sein und mich von ihm anstecken lassen.