Tägliche Gedanken in einer schwierigen Zeit, heute von Pfr. Dr. Christian Weitnauer
„Rallentando“ soll man manche Passagen auf dem Klavier spielen. „Langsamer werdend“. „Rallentare“ soll man sein Auto in Italien, „verzögern“, wohl meistens: bremsen. Nicht, weil Bremsen so schön ist, nicht, um die Bremsen zu testen, nein, sondern weil eine scharfe Kurve kommt oder ein Stau. Und zur Zeit gilt für vieles im Leben: „Rallentando“: Langsamer! Corona around! „Rallentare“: Nicht gleich zehn Pfund Nudeln und drei mal acht Rollen Klopapier einkaufen, sondern morgen, übermorgen ein Pfund, und Klopapier erst, wenn nur noch drei Rollen daheim sind. Man kann sogar dazulernen und seine Toilettenhygiene nach islamischem Muster weitgehend mit Wasser und mit wenig Papier durchführen.
Langsamer kommunizieren und reagieren. Nicht gleich die neuesten Schuldzuweisungen weitererzählen, sondern morgen, vielleicht übermorgen, oder gar nicht. In meiner Schulzeit galt: Wenn ein Schüler dem Chef eine Beschwerde vortragen wollte, sollte er das möglichst nicht am Tag des auslösenden Ereignisses, sondern erst am nächsten Tag tun. Über Nacht waren die ersten Emotionen verraucht und eine sachlichere Darstellung des Problems möglich.
„Rallentare“: Weniger, nein, gar nicht treffen sollen wir uns dieser Tage, jedenfalls uns nahekommen. Termine verschieben wir, Feiern, Konfirmationen, Trauungen, Taufen. Schmerzlich, aber offenbar unumgänglich. Vieles muss liegenbleiben, einiges wird gar nicht mehr stattfinden. Gottesdienste, so hat unsere Regierung festgestellt, sind keine zwingend notwendigen Veranstaltungen. Vorbei die Zeiten, als Buß‐ und Bettage von der Regierung angeordnet wurden. Unser Leben ist durcheinander, jedenfalls was unsere Planungen angeht. Unsere Kinder und Enkel*innen brauchen uns deutlich mehr als sonst. Und unsere Eltern, Großeltern und alle, die sich noch mehr in Acht nehmen sollen als wir selbst. Ur‐menschlich, dass wir nun von Gott ein „Accelerando“ erwarten. Schnell machen soll Gott, schneller!
Wir sind nicht die Ersten mit solchen Erwartungen. „Eile, Herr, mir zu helfen“, so lesen wir mehrmals in den Psalmen. Urmenschlich dürfen wir sein vor Gott. „Hilfe! Mach schnell, Gott! Sonst geht hier so viel den Bach runter! Pläne zerrinnen und wir sind alle ein bisschen wie im Gefängnis. Und bei nicht ganz wenigen Mitmenschen droht das Geld knapp zu werden.“ Ich wünsche uns, dass wir den cantus firmus unseres Lebens in diesen Tagen nicht überhören, zwischen Rallentando und Accelerando: „Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl“. Geschrieben von Paul Gerhardt in der Nachkriegszeit 1653 (EG 361 Befiehl du deine Wege, Vers 7).