Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit
Die Sekunde der Bewahrung
Heute ist ein Samstag. In meiner Kindheit so ab ca. acht Jahren war dies oft ein besonderer Tag. Ich wurde zum sog. „Getreide schroten“ eingeteilt. Besonders in den Herbst- und Wintermonaten habe ich damit früh begonnen und nach dem Mittagessen noch bis zum Nachmittag weitergemacht. Es war eine klassische Steinmühle. Einen Sack Schrot zu mahlen dauerte knappe 10 Minuten. Wenn dieser voll war, wurde er auf die Seite gestellt und ein leerer Sack kam schnell unter den Schrotauslauf der Mühle. Drei Schrotsäcke passten auf die Rampe. Dann wurde die Mühle ausgeschaltet und der Schrot kam in die bestimmten Behältnisse.
Irgendwann habe ich mir angewöhnt, während des Schrotens den Sportteil der Zeitung (Fränkische Landeszeitung als Regionalteil der Nürnberger Nachrichten) herzuholen und darin zu lesen. Das hatte für mein Leben drei Folgen: Ich habe so viele Artikel von bekannten Sportjournalisten gelesen. Mein Interesse für Sport aller Art wurde geweckt. Und schließlich entdeckte ich meine Vorliebe für Statistiken. Jede abgedruckte Tabelle wurde gelesen und im Kopf statistisch ausgewertet. Später kam mir das im Leistungskurs Mathematik im Gymnasium zugute. Denn diese statistischen Formeln wurden im Fach Stochastik vertieft.
Aber diese Arbeit an der Schrotmühle hatte auch Gefahren. Die Mahlsteine mussten im Ruhezustand sein, wenn ich mit der Hand den Restschrot herausgeholt habe. Und eines Tages war ich nicht aufmerksam genug. Hatte ich andere Gedanken im Kopf? Ging es mir nicht gut? Jedenfalls bin ich zu früh mit der Hand in den Schrotauslauf gekommen. Gott sei Dank war es die letzte Drehung der Steine! Ich spürte einen tiefen Schmerz am Daumen der linken Hand. Und genau in diesem Moment stoppten die Mahlsteine. Es gab eine tiefe Wunde. Es ging nur um eine einzige Sekunde! Diese Sekunde früher hätte bewirkt, dass mein linker Daumen wohl abgehackt worden wäre. „Ein Daumen steht für drei Finger“ hat mein Orgellehrer gesagt. So aber hatte ich „Glück“ bzw. hat mich Gott vor diesem Unglück bewahrt. Eine winzige Narbe erinnert mich an diese Krise bzw. diesen Samstag in meiner Kindheit.