Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit
Was ist der neutestamentliche Text wert?
Was ist die Bibel wert? Kann ich ihr und dem Text trauen? Oder sind da Märchen aus uralten Zeiten zu Papier gebracht? Welche alten schriftlichen Überlieferungen gibt es? Viele Theologen und Archäologen sind dieser Frage nachgegangen.
Darunter war auch Konstantin von Tischendorf. In Leipzig studierte er von 1834 an Theologie und Philologie. Promotion und Habilitation folgten. Ihm interessiert aber vor allem die Textgeschichte des Neuen Testamentes. Er wollte unbedingt einen gesicherten Bibeltext haben. Mein Professor für Neues Testament in Neuendettelsau, August Strobel, hat erzählt, dass er ein ungewöhnlich scharfes Auge hatte. Er unternahm viele Reisen, um den Text des Neuen Testamentes auf den ältesten Handschriften zu finden. Die Regel heißt: Je näher an den Originalquellen, desto glaubwürdiger der Text. Er ahnte, dass ein möglicher Ort für diese Suche das Katharinenkloster auf der Sinai-Halbinsel sein könnte. Schließlich war dieses Kloster eines der ältesten überhaupt. Insgesamt dreimal verbrachte er eine längere Zeit an diesem Ort. 1844 hat er offenbar 86 Blätter gefunden, diese aber im Kloster zurückgelassen. Um diese zurückzuholen, unternahm er zwei weitere Reisen dorthin.
Prof. August Strobel hatte einen Sinn für Dramatik und erzählte auf spannende Art und Weise dieses Ereignis. Ob das immer so genau gestimmt hat? Ich weiß es nicht. Aber es hört sich gut an. Strobel berichtete davon, dass Tischendorf 1859 bei seiner letzten Reise zum Kloster nach vielen Tagen Besuch abreisen wollte. Er war nicht zufrieden mit seinen Forschungen. Am Abend vorher sieht er einen Klosterbruder mit einem Eimer durch das Kloster gehen. Tischendorf redet mit ihm und fragt nach dem Inhalt. Der Mönch meint, dass er ein paar alte Papierfetzen entsorgen will. Tischendorf schaut sich das genauer an und bittet um das Papier. Er findet genau das, wonach er schon seit Jahren gesucht hat. Diese Geschichte hört sich doch wirklich gut an, oder? Vermutlich wurden ihm aber vom Klostervorsteher diese Textteile gezeigt. Es wird die berühmteste und genaueste griechische Überlieferung zum neuen Testament: der Codex Sinaiticus.
Die Erzählung meines Professors passt zu diesem Mann und auch zur weiteren Geschichte dieses Fundes. Tischendorf will die Handschrift dem russischen Zar Alexander II. zum 1000. Jubiläums der russischen Monarchie schenken. Das war im Jahr 1862. 1869 wurde eine Schenkungsurkunde des Codex an den Zaren unterzeichnet. Bis heute fordern die Verantwortlichen des Katharinenklosters den Codex zurück und betrachten ihn als ihr Eigentum. Am 27.12.1933 verkauft ihn Stalin an das Britische Museum in London für 100.000 Pfund und kommt damit an Devisen, um seinen Fünfjahresplan zu finanzieren. Noch 1975 wurden neue Manuskriptfragmente bei Aufräumungsarbeiten im Kloster entdeckt. Sie alle zeigen, wie wertvoll und glaubwürdig der Text des Neuen Testamentes ist. Es gibt kein anderes antikes Buch, das so genau überliefert ist wie das Neue Testament. Von keinem anderen Buch haben wir solche alte Überlieferungen. Selbst die ältesten noch vorhandenen Texte zum römischen Reich oder der “Gallische Krieg“ von Julius Cäsar sind nicht so alt und gesichert wie der zweite Teil der Bibel. Historisch betrachtet ist auf den Text des Neuen Testamentes absoluter Verlass.
Aber natürlich gilt auch hier: Der Text ist nur ein Weg, in Jesus den Christus zu erkennen. Heute vor genau 206 Jahren, am 18.01.1815 ist Konstantin von Tischendorf in Lengenfeld im sächsischen Vogtlandkreis geboren.