Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit
Leid – ohne Namen
Es hätte so schön sein können. Ich hatte mir das vor Augen schon ausgemalt. Die Studienfahrt Ende August/Anfang September 2020 nach Polen in die Masuren. Leider ist es aus den bekannten Gründen anders gekommen. Pfr. Martin Kühn als Organisator und busfahrender Pfarrer hatte auf der Rückfahrt noch einen besonderen Ort ausgewählt: KZ Auschwitz mit dem Vernichtungslager Birkenau. Ich war noch nie dort. Mein einziger Besuch in einem KZ war 1990 im KZ Buchenwald. Es war der Ort, an dem Pfr. Schneider, der Prediger von Buchenwald umgebracht wurde (siehe mein Update 125 vom 18.07.2020).
Etwa 90 % der gefangenen Menschen in Auschwitz waren Juden. Dieses KZ steht symbolisch für alle ermordeten Juden im sog. dritten Reich. Heute vor genau 76 Jahren, am 27.01.1945, hat die Rote Armee den Lagerkomplex befreit. Seit 1996 ist dieser 27. Januar der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“.
In unserer Stadt Hersbruck findet in normalen Zeiten an diesem Tag ein besonderer Gottesdienst in der Spitalkirche statt mit anschließender Lichterkette zum sog. Bocchetta-Denkmal. Diese Skulptur trägt den Namen „1944 – 1945 ohne Namen“. Der Künstler selbst hat sie am 8. Mai 2007 enthüllt und der Öffentlichkeit übergeben. Von August 1944 bis April 1945 war in Hersbruck ein Außenlager des KZ Flossenbürg. Die Häftlinge trieben eine unterirdische Stollenanlage für die Rüstungsindustrie in die Houbirg bei Happurg. Innerhalb kurzer Zeit, in der das Außenlager bestand, verloren nahezu 4000 Menschen ihr Leben. Die Skulptur steht am Rande des Geländes, auf dem das Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg vor der SS errichtet worden war.
Vittore Bocchetta litt als Mitglied des Veroneser Widerstandes zwischen 1940 und 1945 in Gefängnissen des italienischen Faschismus und in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Er wurde aus dem Lager Bozen in das KZ Flossenbürg und in das Außenlager Hersbruck deportiert. Er hat diese Skulptur als Bildhauer, nicht als Verurteilter und ehemaliger Häftling, zur Erinnerung an all die Menschen, seine Kameraden, erschaffen, die im Außenlager in Hersbruck ihren Namen, ihre Würde und ihr Leben verloren haben. Mehrmals war er in unserer Stadt und hat in Schulen und anderen Veranstaltungen von dieser Erniedrigung von Menschen berichtet. Er gehört mit jetzt über 100 Jahren zu den noch wenig lebenden Zeitzeugen dieser schlimmen Epoche. Vor sechs Jahren gab es die Versöhnungsmärsche „Marsch des Lebens“. Einer ging von Hersbruck über mehrere Tage nach Dachau. In das dortige KZ mussten viele Gefangenen am Ende des zweiten Weltkrieges vom Außenlager Hersbruck zu Fuß gehen. Die Skulptur selbst spricht Bände und ich finde keine Worte, sie zu beschreiben. Da kann nur jede/r selbst mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen verweilen und hoffen, dass es solche schlimme Situationen nicht mehr geben wird.