Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit
Rücksicht
Es war Anfang September. Die geplante Studienfahrt nach Polen in die Masuren ist ausgefallen und ich verbringe den Urlaub zu Hause mit Besuchen, Tagesfahrten und Freizeitbeschäftigung. Baden im Baggersee geht nicht mehr. Mich erreicht eine Mail, dass jetzt doch am zweiten Wochenende im September in Nürnberg ein Wettbewerb im Nordic-Walking stattfinden kann. Also hole ich mir die NW-Stecken heraus und walke regelmäßig. Weil es lange Strecken sind, habe ich jetzt auch Zeit zum längeren Walken über zwei bis drei Stunden. Während des Sports denke ich über die vielen Diskussionen der letzten Tage zu den Coronamaßnahmen nach. Besonders umstritten war die Demonstration in Berlin am 29.08.2020. Befürworter und Gegner standen sich gegenüber. Der scheinbare Sturm auf den Reichstag hat nicht nur mich mit dem Kopf schütteln lassen.
Beim Nordic-Walken in der drauffolgenden Woche kreisen meine Gedanken um dieses Ereignis. Plötzlich fällt mir ein Songtext ein, den ich in jungen Jahren stark beachtet habe. Es lag sicherlich auch daran, dass dieser Text für eine erfolgreiche Zeit für Deutschland beim sog. „Eurovision Song Contest“ stand. 1982 hat Nicole mit dem Lied „Ein bisschen Frieden“ zum ersten Mal für Deutschland gewonnen.
Ein Jahr später war deshalb München der Gastgeber für die Neuauflage. Für Deutschland trat das Brüderpaar Hoffman& Hoffmann“ mit dem Titel „Nachsicht“ an. Sie belegten den fünften Platz. Es ist ein durchaus bemerkenswerter Text und der Song selbst hat eine einprägsame Melodie. Erst viele Jahre später habe ich erfahren, dass Volker Lechtenbrink der Textschreiber war. Und damit ist mir der Text erst richtig nahe gekommen. Denn dieser Mann hat wirklich sehr tiefsinnige Songs geschrieben und damit auch schwere Schicksalsschläge in seinem Leben verarbeitet.
„Ich kann nicht alleine sein mit all den ungeklärten Fragen. Was haben wir denn beide falsch gemacht? Und dennoch mag ich keine Menschen sehn. Das Glück von anderen tut mir weh. Warum sind wir nicht früher aufgewacht? Wir waren wie verwöhnte Kinder. Jeder dachte immer nur an sich. Rücksicht! Keiner hat das Wort gekannt und Nachsicht. Die keiner bei dem andern fand und Vorsicht, dass nie zerbricht, was uns verband. Einsicht, dass jeder seine Fehler hat und Weitsicht, das Leben findet nicht nur heute statt und Vorsicht, dass man den andern nicht zerbricht“.
Ein Text, der mich heute in dieser Coronakrise wieder mehr bewegt. Gleichzeitig zeigt er mir, wie schwer es ist, diesen Text auch konsequent umzusetzen. Das ging auch den Sängern selbst so. Der eine Teil des Gesangduos, Günter Hoffmann, nahm sich nur ein Jahr nach diesem großen Erfolg das Leben. Er stürzte sich am 15. März 1984 aus einem Hotelfenster in Rio de Janeiro. Ich merke oft genug bei mir selbst, wie schwer es ist, das Leben konsequent zu leben.