Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit
In der Welt habt ihr Angst
Vor einem Jahr habe ich den folgenden Artikel kurz nach dem Osterfest geschrieben. Irgendwann ist er in der Versenkung verschwunden und ich hätte nie gedacht, dass er ein Jahr später immer noch aktuell sein würde. Aber auch jetzt ist es spannend, meine Gedanken von vor einem Jahr zu lesen.
In dieser Coronakrise gibt es einen großen Vorteil. Ich habe mehr Zeit zum Wandern. Ich laufe z.B. in der näheren Umgebung mit meiner Frau und habe mehr Zeit zum Schauen und Staunen über die Schöpfung. Interessant ist, was so alles zu entdecken ist. Bei solch einem Spaziergang habe ich an einem Baum diesen interessanten Zettel gefunden. Die Botschaft ist Mut machend. Offenbar wollte jemand im öffentlichen Raum solch einen Zuspruch weitergeben. Und das Thema „Angst“ ist auch wirklich greifbar. Natürlich wissen wir jetzt, dass die Höhe der möglichen Todesopfer um das Osterfest sich nicht so entwickelt hat wie befürchtet. Aber die eigene Einstellung dazu hängt auch davon ab, ob ich selbst einen Betroffenen kenne oder nicht. Ist diese Coronakrise also eher weit weg von mir oder kommt sie mir nahe.
„Angst“ ist ja ein bestimmtes Phänomen, das mit meiner Person zu tun hat. Beispiel: Mit dem Auto von Hersbruck nach Reichenschwand zu fahren (3 km) ist statistisch gesehen sehr viel gefährlicher als mit dem Flugzeug von Nürnberg nach London. Dennoch kenne ich Leute, die täglich diese Autostrecke bewältigen, aber sich auf keinen Fall in ein Flugzeug setzen würden. Angst hat also damit zu tun, ob ich diese scheinbar selbst steuern oder vermeiden kann. Es ist ein psychologisches Problem. Ich habe in meinem Leben immer wieder Christen getroffen, die zu mir gesagt haben: Ein Christ darf keine Angst haben. Er hat ja Jesus, der mir alle Angst nimmt. Ich schaue in die Bibel und mir fällt vor allem die vermutlich vielen Leser/-innen bekannte Stelle auf: Christus spricht: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Johannes 16, 33). Wie oft haben sich Verstorbene diesen Jesusspruch als Beerdigungstext gewünscht! Jesus sagt eben nicht: Ihr dürft keine Angst haben! Angst ist ein Zeichen von Unglaube! Wer Angst hier im Leben hat, dem fehlt Vertrauen zu Christus! Das sind nur drei Aussagen zu diesem Thema, die ich mir immer wieder anhören musste.
Ich denke, dass solche Aussagen selbst Zeichen von Angst sind. Bin ich richtiger Christ? Wie reagiert Jesus darauf, wenn ich doch Angst habe? Solche Aussagen zeigen mir, dass offenbar das eigene Gottesbild von Angst geprägt ist. Dabei heißt „Evangelium“ auf Deutsch „Gute Botschaft“. Persönlich habe ich mir angewöhnt, bei Durchsicht einer von mir geschriebenen Predigt jede Formulierung von „müssen“ zu streichen. Ich muss erst mal gar nichts machen, denn Gott hat in Jesus alles für mich getan. Und er kennt auch meine Ängste und Nöte. Er hat die Welt überwunden. Das heißt: Jesus verweist darauf, dass Glaube und Vertrauen zu ihm mehr ist als was in dieser Welt zu sehen und zu erkennen ist. Er überwindet die Angst dadurch, dass er auf seine Kraft verweist. Aber noch lebe ich in dieser Welt. Und damit darf und kann ich meine Ängste formulieren. Und die Botschaft am Baum eines mir unbekannten Zeitgenossen kann mir helfen zu sehen, dass die Angst nicht das letzte Wort haben wird. „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir, weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit“ (Jesaja 41, 10). Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: „Gott gibt Zeiten der Sorge und Angst und Gott gibt Zeiten der Freude“.