Wenn Corona will, steht (fast) alles still, Update 47 vom 01.05.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Kennen Sie das Kinderlied „Ui,ui, hörst Du den Wind?“ Es ist ein Lied, das sehr viel Vertrauen erwecken soll. Im ersten Vers heißt es: „Ui, ui, hörst Du den Wind? Ui, ui, hörst du den Wind? Jesus ist da, drum habe keine Angst. Ui, ui, ui, ui, ui, ui“. Und dann gibt es verschiedene Lebenssituationen, die sich Kinder selbst ausdenken können. Jeder Vers endet aber immer mit den Zeilen: Jesus ist da, drum hab keine Angst usw. Und dann kam der Tag, seit dem dieses Lied für mich nur noch schwer zu singen war. In einem vorgegebenen Vers heißt es nämlich: „Ui, ui, siehst du den Blitz? Ui, ui, siehst du den Blitz? Jesus ist da, drum hab keine Angst usw.“

Dann kam der Tag im Juni 1993. Ich war gerade mit einer Konfirmandengruppe und mit Mitarbeitern auf der Burg Altenstein zur Rüstzeit. Damals noch ohne Handy geschweige denn mit Smartphone ausgestattet, kam eine Mitarbeiterin des dortigen CVJM-Hauses zu mir und bat mich meine Frau zurückzurufen. Es sei etwas Schlimmes passiert. Der Anruf bestätigte die Information. Im Dorf stand der Maibaum (siehe gestriges Update) und ein Gemeindemitglied wurde unter dem Baum vom Blitz erschlagen und ist tot. Er war Zimmermannmeister und wohnte nur rund 500 m vom Maibaum entfernt. Er hatte einen Auftrag direkt am Haus, das dem Maibaum am nächsten lag. Weil es so heiß war, stellt er das Betriebsauto unter den schattigen Maibaum. Im Laufe des Nachmittages braute sich ein Gewitter zusammen. Es regnete nicht, aber es gab einen einzigen furchtbaren Schlag. Er war so laut, dass meiner Frau gleich klar war, dass ein Blitz irgendwo eingeschlagen hatte. So war es auch. Und genau in der wenigen Sekunde des Einschlages war der Zimmermann beim Auto gestanden um ein Handwerkgerät zu holen. Er hatte keine Überlebenschance. Mit 35 Jahren ist er verstorben und seine Frau stand mit Firma und dem dreijährigen Kind da. Mein Vertreter hat mir später erzählt, dass er nicht fähig war, mit der Familie den bei einer Aussegnung üblichen Ps 23 zu beten. Er war genauso alt wie ich. Mir kam sofort der Gedanke: Wenn ich jetzt gestorben wäre. Wenn mein Leben so kurz gewesen wäre!  Nach meinem Heimkommen aus der Konfirmandenrüstzeit standen Gespräche und Beerdigung an. Mir war es selbst ziemlich mulmig. Neben der persönlichen Trauer gab es ja noch das Überlegen zur wirtschaftlichen Situation des Familienbetriebes. Fragen über Fragen.

Aber ich traf eine Frau, die selbst sehr ruhig und gefasst war. Sie hat nicht geklagt und nicht auf Gott geschimpft. Sie hat das Geschehen auch nicht dem Schicksal zugesprochen. „Ich will das aus Gottes Hand nehmen“ – war ihr Leitsatz. Und dann kam es zu den Gedanken über den Ablauf der Beerdigung. Sie wählte als Bibeltext für die Ansprache den gemeinsamen Trauspruch aus Jesaja 54, 10: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer“. Für mich ist diese Haltung der Frau bis heute wichtig geworden. Mitten in ihrer Lebenskrise hat sie gelernt, nicht zu verzweifeln, sondern auf Gott zu schauen. Ja, noch mehr. Sie wollte etwas von dieser Gnade mitten in der Krisensituation an andere weitergeben. Ein paar Wochen später hat sie mich angerufen. „Herr Metzger, ich will gerne im Kindergottesdienst als Mitarbeiterin dabei sein“. Bei jedem Maibaum, an dem ich vorbeifahre. Bei jedem Kirchweihbaum, den ich hier in Ostmittelfranken sehe, gehen mir die Gedanken vom Juni 1993 durch den Kopf. Das schöne Kinderlied habe ich seither nicht mehr gesungen.

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