Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit
Warum geschieht was in einer besonderen Situation? Warum kommen Menschen zueinander, die sich vorher nicht gesehen hatten? Warum kommen Menschen an einem besonderen Ort zusammen und genau deshalb geschehen umwälzende Dinge? Ist das Zufall? Ist das Fügung? Mit 62 Jahren blicke ich bei diesem Thema immer wieder zurück und erinnere mich an solche Situationen in meinem Leben. Manchmal sagen mir dann Leute: „Das sollte eben so sein und nicht anders“. Ist das eine Erklärung? Manchmal stehe ich verwundert vor Erzählungen und Geschichten und staune nur. Das ist auch der Fall, wenn ich an Situationen in der Geschichte denke.
Dazu gehört auch die Begegnung von Martin Luther und Philipp Melanchthon. Beide gehören in ihrer Zeit zu den intelligentesten Zeitgenossen und kommen sehr früh in die Schule. Philipp ist in Bretten aufgewachsen und kam schon als kleines Kind mit den durchfahrenden Schülern (Scholaren) in Kontakt. Sein Vater starb schon 1508 und er kam mit 11 Jahren nach Pforzheim zu seiner Verwandten Elisabeth. Diese war die Schwester von Johannes Reuchlin, der zu den bedeutendsten Humanisten gehörte. Er wurde der größte Förderer von Philipp und unterstütze ihn, wo er nur konnte. So wuchs dieser zu einem der besten Kenner in der griechischen und lateinischen Sprache heran. Er verlieh Philipp den Humanistennamen Melanchthon. Das ist eine Gräzisierung des ursprünglichen Namens „Schwartzerdt“. Solche Umbenennungen eines Namens sind Ausdruck der Wertschätzung. Mit gerade mal 12 Jahren legte Philipp das Abitur ab und fing das Studium in Heidelberg an. Mit 13 Jahren veröffentlichte er seine ersten Gedichte in Latein. Mit 14 Jahren erwarb er seinen ersten akademischen Grad. Er wechselt nach Tübingen und beendet sein Studium mit knapp 17 Jahren mit dem Magistertitel. Erzählt wird, dass der 16-jährige Philipp von den anderen Studenten nach vorne gebeten wurde, wenn der Professor nicht mehr weiter wusste.
Er hört von den Thesen von Martin Luther und bewirbt sich deshalb auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für griechische Sprache in Wittenberg. Und jetzt die bildhafte Vorstellung: Mit 21 Jahren so alt wie mancher Student, nur 1,50 Meter groß, dürr und hager, hält er am 28.08.1518 seine Antrittsrede „Über die Neugestaltung des Studiums der Jugend“. Sie war so beeindruckend, dass die anfängliche Skepsis der Studenten umschlug in Begeisterung. Luther wurde sein bester Freund und beide setzten die humanistische Tradition „Ad fontes“ fort. Das heißt: „Zurück zu den Quellen“. Die Bibel sollte von der ursprünglichen Sprache Hebräisch (Altes Testament) und Griechisch (Neues Testament) in ein verstehbares Deutsch übersetzt werden. Er setzte sich für Bildung ein und gründete mehrere humanistische Gymnasien. So war er bei der Einweihung des Melanchthon-Gymnasiums in Nürnberg persönlich anwesend.
Während Luther eher ein „Polterer“ war, argumentierte Melanchthon ruhiger und vorsichtiger. So gab es einen sehr guten Ausgleich in vielen reformatorischen Fragen. Weil Luther beim Verfassen der Confessio Augustana (CA) nicht dabei sein konnte (siehe gestriges Update Nr. 102), hatte er Angst, Melanchthon würde sich nicht klar genug ausdrücken. Aber vermutlich hat genau das den Erfolg dieser grundlegenden Bekenntnisschrift gebracht. Philipp war gegen die Heirat von Luther mit Katharina von Bora (siehe morgiges Update Nr. 104). Er befürchtete das Aufsehen und die niederschmetternden Kommentare der Gegner, wenn ein ehemaliger Mönch eine ehemalige Nonne heiratet. Nach dem Tod von Luther war Philipp aber der treueste Helfer von Katharina. Ihm hat sie es zu verdanken, dass sie noch gut durch die nächsten Jahre kam. Nur die Pest und ein Unfall waren schuld daran, dass Katharina schon mit 53 Jahren gestorben ist (siehe Update Nr. 15 vom 30.03.2020).
Er selbst ist 1560 vor genau 460 Jahren gestorben. Wir haben also ein „Melanchthonjahr“. Aber ich fürchte, das geht im „Coronatrubel“ leider völlig unter. War es nun Zufall, dass diese beiden vielleicht in Deutschland intelligentesten Männer Luther und Melanchthon so zusammengekommen sind und vom Förderer Kurfürst Friedrich einen Raum für die Reformation erhalten haben? Oder ist da doch jemand anderes noch im Spiel, der unsere Geschicke lenkt auf eine Art und Weise, wo ich nur staunen kann. „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der HERR allein lenkt seinen Schritt“ (Sprüche 16, 9).