Archiv des Autors: Pfr. Gerhard Metzger

Wenn Corona will, steht (noch) manches still, Update 185 vom 15.09.2020

Tägliche Gedanken in einer schwierigen Zeit, heute von Pfr. Dr. Christian Weitnauer

Verständnis und Toleranz sind gefragt

Liebe Leserin, lieber Leser! am 9. November 1989 antwortete Günter Schabowski vom SED-Politbüro auf die Frage, wann die neuen Ausreisebedingungen aus der DDR in Kraft träten: „…sofort, unverzüglich“. Das war so nicht geplant, aber es wurde tatsächlich wahr! Wie schön und erhebend, als Berlinerinnen und Berliner in der gleichen Nacht auf einmal ungehindert die Mauer passieren durften!

Wäre das schön, wenn ein neuer Schabowski auf die Frage: „Ab wann ist die Corona-Pandemie vorbei?“ antworten könnte: „Nach meiner Kenntnis sofort, unverzüglich.“ Die Ungeduld wächst. Zurück zum normalen Leben wollen wir. Ist doch alles gar nicht so schlimm. Das merken auch die Regierenden. Und der Druck auf die Polizei, doch eher wegzuschauen, wächst. Auf der anderen Seite Leute wie ich, die sich vom Alter und den Vorerkrankungen her als Risikopersonen betrachten. Und Nachrichten wie „Tönnies“ und „Göttingen“. Corona ist keine abgewirtschaftete DDR und deshalb nicht geeignet für neue „Schabowski-Effekte“. Corona ist eine Pest.
Und Corona diskriminiert. Corona zerreißt die Menschheit. Manche leben in gut regierten Ländern, andere in schlecht regierten, mit vielen Abstufungen dazwischen. Manche sind arm oder „bildungsfern“, manche haben die „Corona-Warn-App“ beinahe vom Beginn an auf ihrem brandneuen Smartphone und andere wissen nicht, was ein Smartphone ist. Und – und das erschüttert mich – wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass ein Mitmensch Bruder und Schwester, Nachbar, Freund, Kollege, Kumpel und sonstwas sein kann, aber auch eine Virensprüherin. Ein Gesundheitsrisiko. Oder ein ungemein verletzliches Wesen, das beinahe geschützt werden muss wie Luther auf der Wartburg.

Ich glaube, es ist jetzt viel Verständnis und Toleranz gefragt, Verständnis der älteren Risiko-Menschen für die vor Energie und Sehnsucht nach Gemeinschaftserlebnis berstenden Jüngeren und Verständnis der Jüngeren für die um ihre Gesundheit besorgten Älteren, die Omas und Opas – und es gibt auch Risiko-Menschen, die unter 60 sind! Es ist immer noch Blick in den armen Süden unserer Erde und Mitleid gefragt mit denen, die in einem Lockdown dort gar nicht überleben könnten, weil sie jeden Tag auf dem Markt einkaufen müssen. Und es ist Geduld gefragt, denn weiterhin gibt es keine spezifische Behandlung gegen COVID-19 und auch noch keine Impfung. Masken gibt es, Abstandsregeln und hygienisches Verhalten.

Vielleicht gehen wir aus der Corona-Krise heraus mit einem neuen Faible für Mund-Nasen-Masken. Vielleicht werden sie so etwas wie ein fesches Accessoire, mit Deko, Text, Smilies oder ähnlichem. Es wäre ein mitmensch- liches, menschenfreundliches, insofern christliches Symbol: „Jesus liebt dich – und ich auch, deshalb behalte ich meine Viren, Bakterien und ähnliche hässliche Tierchen für mich. Das ist gut für uns beide, nicht nur gegen Corona, sondern auch gegen Schnupfen und Grippe.“

Wenn Corona will, steht (noch) manches still, Update 184 vom 14.09.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Jägerball

Bitte denkt daran, heute Nachmittag ist Spielstunde“. Unser Grundschullehrer, Dieter Weth, hätte mich daran nicht immer erinnern müssen. Alle zwei Wochen trafen wir uns mit ihm auf dem Sportplatz an einem Dienstag wie heute zu diesem besonderen Sportunterricht. Erst bei einem Treffen 1998 habe ich von ihm erfahren, dass die Gestaltung, Beschreibung und Auswertung dieses Sportunterrichtes zu seiner Prüfung zum zweiten Examen gehörte.

Ich weiß noch ganz genau, dass das Treffen immer mit einem bestimmten Ritual angefangen hat: dem Jägerball. Ich kannte das vorher nicht. Als Lehrer nahm er einen Ball, nahm die Position als Jäger ein und schickte alle Kinder auf das Feld. Er versuchte ein Kind zu treffen. Dieses angeschossene Kind kam dann ebenfalls zu den Jägern. Im Laufe des Spieles gab es also immer mehr Jäger und immer weniger Gejagte. Die Kunst war, dass die Jäger sich den Ball zugespielt haben und so schneller die Gejagten mit dem Ball getroffen haben. Am Schluss blieb noch ein Kind übrig. Dieses durfte dann als Jäger das neue Spiel eröffnen. Es war eine Ehre, zuletzt als Einziger übrig zu bleiben. Was mir damals als Kind aber schon aufgefallen war? Wenn nur noch so etwa 5 Kinder als Gejagte übrig geblieben sind, haben die Jäger in der Regel vereinbart, wem sie übrig lassen wollen. In der Regel blieb dann ein Kind übrig, das sonst nicht so auffällig war oder im Sport nicht Talente hatte. Die Jäger suchten also eine Art „soziale“ Komponente für ihre Auswahl. Weil ich relativ gut im Fußball und auch sonst im Sport war, konnte ich nie als „Übriggebliebener“ glänzen. „Jetzt schießen wir den Gerhard ab“. Irgendwann gab es diesen Ruf und das war für mich o.k.

Heute wäre es interessant für mich, ob dieses „Jägerball“ solche Gedanken eher zufällig in Habelsee hervorgebracht hat oder ob diese „soziale“ Komponente Absicht war. Immerhin ein Gedanke, der gerade in der Coronakrise verstärkt bedacht werden muss. Denn offenbar leiden die „Ärmeren“ in einer Gesellschaft jetzt mehr als die anderen.

Wenn Corona will, steht (noch) manches still, Update 183 vom 14.09.2020

Bergfest

Schau doch mal, wie die vielen Tische heute gedeckt sind. Die feiern vermutlich irgendein Fest“. Meiner Frau fällt so etwas sofort auf. Bei mir geht das eher vorüber. Aber nach ihren Worten sehe ich auch die Veränderung. Der Speisesaal des Reha-Zentrums Usedom in Kölpinsee hat an diesem Abend ein anderes Gesicht. 2005 sind wir mit unserem kranken Sohn Simon auf der „Juni-Kur“. Neben den Pfingstferien kann ich mir noch einige Tage frei nehmen und insgesamt vier Wochen verbringen wir dort die Kur, damit Simon die bestmöglichste Unterstützung erhält. Irgendwann gegen 19.00 Uhr treten viele Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger in den Speisesaal. Sie setzen sich an die festlich geschmückten Tische und verbringen offenbar einen sehr schönen Abend miteinander. Natürlich haben wir am nächsten Tag nach dem Grund dieses Festes gefragt. „Wir feiern das Bergfest“ wart die Antwort. „Bergfest, habe ich noch nie hier gehört. Die höchste Erhebung hat hier doch gerade mal 58 m“ – war meine Antwort. „Das Bergfest feiern wir hier im Osten, wenn genau die Hälfte der Arbeitszeit im Jahr vorüber ist. Jetzt werden die Arbeitstage in diesem Jahr weniger“.

Ich war erstaunt über diese Erklärung. Gleichzeitig war ich überrascht, dass solch ein Fest wahrgenommen wird. Immerhin ein Grund, mit einer kleinen Feier das Miteinander im Kreis aller Mitarbeiter/-innen zu fördern. Heute ist für mich dieses Bergfest. „Wie lange hast du denn vor, diese Updates zu schreiben?“ wurde ich vor allem Ende Mai/Anfang Juni gefragt. Langsam aber sicher, begann damals die Arbeit wieder. Gottesdienste werden seither gefeiert, Besuche können wieder durchgeführt werden, kleine Gruppen treffen sich, ein Gemeindebrief ist fertiggestellt worden und der zweite in Vorbereitung. Alles läuft noch auf Sparflamme. Die Arbeit in der Kirchengemeinde ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Alle hoffen, dass irgendwann ein Normalzustand erreicht werden kann. Keiner weiß bis jetzt, wie und wann das gehen soll. Mit dem Virus müssen wir wohl künftig leben, so wie das auch mit anderen Viren der Fall ist. „Ich will genau ein Jahr meine Updates schreiben“ gebe ich zur Zeit zur Antwort.

Schaffe ich das, dann wird das Letzte am 15.03.2021 geschrieben. Dann feiere ich heute mit dem Update 183 das Bergfest. Damit habe ich die Hälfte erreicht. So ist heute das Ziel zu sehen. Jedenfalls geht die Wegstrecke jetzt hinunter so wie bei einer schönen Bergwanderung. Der Anstieg ist anstrengend, die Aussicht belohnt für alle Mühe, der Abstieg fällt leichter. Vielleicht ist das auch bei meinen Updates der Fall. Und hoffentlich werden sie auch noch künftig gelesen.

Wenn Corona will, steht (noch) manches still, Update 182 vom 13.09.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Mein letztes Rennen – hoffentlich nicht

Sein letztes Rennen“. Für mich gilt dieser Film mit Dieter Hallervorden zu den besten Filmen überhaupt. Der Schauspieler verkörpert darin Paul Averhoff (ist eine fiktive Person), der 1956 olympisches Gold im Marathon gewann. Jetzt muss er mit seiner Frau Margot ins Altersheim. Aber Basteln und Singen sind nicht seine Sache. Er fängt wieder an zu trainieren, er will noch einmal einen Marathon über 42, 2 Kilometer schaffen. Da stirbt seine Frau und Paul will sein Versprechen halten, das Rennen alleine zu beenden. Die Heimleitung will das unbedingt verhindern und Paul wird ruhiggestellt und fixiert.

Aber der Pfleger Tobias und ein Bewohner befreien ihn heimlich und bringen ihn an den Start. Kurz vor dem Ziel bricht er im Berliner Olympiastadion zusammen. Mit letzter Kraft steht er auf. Die Zuschauer applaudieren und er erreicht erschöpft, aber glücklich die Ziellinie. 2014 erhält Dieter Hallervorden den deutschen Filmpreis für die „beste männliche Hauptrolle“ des Jahres. Und spätestens dann weiß jeder, dass er nicht nur der Komiker ist, dessen Sketche in „Nonstop nonsens“ tatsächlich durchaus Geschmackssache sind. Er ist ein wunderbarer Schauspieler, der auch mit „Honig im Kopf“ ein Jahr später eine überragende Leistung gezeigt hat. Am 5.9. dieses Jahres ist er 85 Jahre alt geworden.

Aber warum denke ich heute an ihn? Gestern früh habe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Halbmarathon auf Zeit gewalkt. Er wurde als Europameisterschaft ausgeschrieben. Bei diesen 21, 2 km musste ich sechsmal den Schmausenbuck in Nürnberg steil hinauf und dann wieder herunter. Ich habe mir vorher die Startliste angeschaut und gedacht: „Oh je. Alles tolle Läufer, die ich von den letzten Jahren her kannte. Nur ganz wenige haben sich an dieses Strecke herangetraut“. Also gab es für mich zwei Ziele: Nicht Letzter werden und diese mörderische Strecke in drei Stunden schaffen. Tatsächlich habe ich beide Ziele geschafft. Aber die letzte Runde war wirklich sehr schwer.

Sechs Tage vorher meinte jemand zu mir: Bei deinen Rennen in Nürnberg denke ich an „Sein letztes Rennen“. Ehrlich gesagt: Ein wenig fühle ich mich aus so heute früh. Ich spüre noch die Müdigkeit in den Knochen und die Muskeln sind noch nicht ganz weich. Aber es ist doch gut, sich immer wieder einmal neue Ziele zu setzen und hinterher ein gutes Gefühl zu haben. Und vielleicht fahre ich heute mittag nach dem Gottesdienst noch einmal hin. Dann werden 16, 1 km in Angriff genommen und das gilt als Deutsche Meisterschaft. Naja, wenigstens haben diese Rennen wichtige Bezeichnungen. Und hoffentlich bin ich körperlich und mental in der Lage, auch morgen ein Update zu schreiben!!!!

Auf dem Bild sind Ortwin Kalb und ich vor dem Start zu erkennen. Ortwin war mindestens 15 Minuten schneller als ich. Herzlichen Glückwunsch dafür!!!

Wenn Corona will, steht (noch) manches still, Update 181 vom 12.09.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Moria

Feuer verwüstet Flüchtlingslager Moria“. Das ist in diesen Tagen eine große Schlagzeile. Dieser Ort auf der griechischen Insel Lesbos im Mittelmeer beherbergt zurzeit etwa 12.600 Flüchtlingen, obwohl nur 2.800 Plätze zur Verfügung stehen. Bei diesen Zuständen ist es kein Wunder, dass der Ort wegen mehrere Corona-Fälle unter Quarantäne steht. Viele Flüchtlinge wollen von dort fliehen um sich nicht anzustecken. Aber sie dürfen nicht. Zurzeit gehören die Behörden davon aus, dass dieses Feuer durch Brandstiftung gelegt worden ist. Wegen der Windböen ist ein Löschen nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Ein Kommentator meint: „Europa fehlt eine realistische Vision“.

All diese Gedanken und allein der Name „Moria“ lassen mich daran erinnern, dass ein Ort „Moria“ eine sehr große Rolle in der Bibel spielt und nicht nur für uns Christen ganz wichtig geworden ist. „Moria“ ist nämlich der Ort, an dem Abraham seinen Sohn Isaak gebunden hat. Sie steht im 1. Buch Mose im 22. Kapitel und ist eine der umstrittensten Geschichten der Bibel überhaupt. Gott befiehlt darin Abraham, seinen Sohn Isaak zu opfern. An der Opferstätte hält ein Engel Abraham jedoch im letzten Moment davon ab, seinen Sohn zu töten. Abraham wird für seine Gottesfurcht belohnt, da er bereit war, dieses große Opfer zu bringen. Wer sich hier an die Historie klammert, der kann tatsächlich schnell ins Grübeln kommen, was das für ein Gott ist.

Interessant ist für mich, dass diese Geschichte in den früheren Schriften des Alten Testamentes nicht stand. Sie ist relativ spät dort eingefügt worden. Das zeigt mir, dass sie einer besonderen Auslegung bedarf. Sie ist schon in der jüdischen Überlieferung ein Hinweis darauf, dass der Tod überwunden wird und ein neues Leben der Auferstehung erwartet werden kann. Deshalb haben Christen diese Geschichte schon immer auf das Kreuz von Jesus gedeutet. Er hat sich am Kreuz geopfert, damit die Gnade Gottes umso deutlicher wird.

Heute wird dieser Wort „Moria“ auf dem Tempelberg verortet. Und damit ist dieser Berg (und damit die Stadt Jerusalem) der Mittelpunkt aller drei monotheistischer Religionen. Für die Juden ist es der Ort der Bindung von Isaak. Für die Christen ist es der Ort, in dem Jesus gekreuzigt und auferstanden ist. Für Moslems ist es der Ort, an dem Mohammed mit seinem Rappen zum Himmel hinaufgeritten ist. Und Muslime feiern bis heute das sog. „Opferfest“ zur Erinnerung an das Geschehen um Abraham und Isaak. Es ist für sie immerhin der höchste Festtag.

Was ich auch noch interessant finde! „Moria“ bedeutet „Jahwe ist mein Lehrer“. Der Ort Moria ist das Land, in dem man sehen (erkennen) wird. Und das würde ich mir wünschen in diesen komischen Zeiten. Dass die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft sehen und erkennen, was konkret zu tun ist um nicht nur Flüchtlingen zu helfen, sondern einwirken auf Staatsmänner, dass solche Flüchtlingsströme gar nicht erst geschehen müssen.

Wenn Corona will, steht (noch) manches still, Update 180 vom 11.09.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Eine neue Zeitrechnung

Es ist früher Nachmittag. Ich fahre mit dem Auto nach Reichenschwand zum Hausarzt. Ich weiß gar nicht mehr den Grund meines Arztbesuches. Ich bin froh gestimmt. In der Früh feierte ich mit zwei Mitarbeiterinnen aus der Arbeit mit Kindern einen sehr schönen Schulanfangsgottesdienst in der Thomaskirche für die Schulanfänger. Wir sangen fröhliche Kinderlieder mit Bewegungen und hatten das Gefühl, die Schüler/-innen mit der Botschaft sehr gut erreicht zu haben. Ein Fahrradschlauch diente als sichtbares Symbol für die Verkündigung. Solch ein Fahrradschlauch kann prall aufgepumpt oder platt sein. So kann es mir auch in der Schule gehen. Ich kann mich darauf freuen oder Ängste haben. Gott verspricht euch, immer da zu sein, auch wenn wir ihn nicht sehen. Er hilft uns, dass wir nicht nur Lernen, sondern dass wir auch viele gute Freunde finden. So lautete die mutmachende Botschaft an diesem Morgen.

Am Nachmittag steht also der Arztbesuch an. Auch auf solch einer kurzen Strecke schalte ich wie immer „B 5 aktuell“ ein. Bei diesem Sender höre ich schnell die Kurznachrichten und bin informiert. Aber an diesem Tag verschlägt es mir auf diesen nur drei Kilometer langen Weg die Sprache und die mutmachende Botschaft vom morgen ist schnell vergessen. Kurz nach der Ausfahrt auf die B 14 höre ich die Schlagzeile: „Die Twintower in New York brennen“. Dann ein paar Meldungen über Terrorangriffe durch Flugzeuge auch auf andere Gebäude in der USA, erste Meldungen über Tote und dass die gesamte Lage noch unübersichtlich ist. Auf dem Parkplatz beim Hausarzt angekommen, höre ich noch kurz in die Worte des Korrespondenten hinein. Es wird vermutet, dass es ein Anschlag ist, der von Osama bin laden ausgegangen ist.

Ich gehe in die Arztpraxis und dort wird schon lebhaft diskutiert über den Islam und seine kriegerischen Ziele. Ich höre einfach zu, bete leise vor mich hin und denke an die Opfer und ihre Angehörige. Der Arztbesuch dauerte insgesamt nur 15 Minuten. Ich fahre schnell nach Hause und daheim angekommen rufe ich noch als Gruß in die Runde der Familie: „Habt ihr schon gehört. Es gab einen Anschlag in New York“. „Ja, wissen wir schon längst. Läuft im Fernseher“. Und dann saßen wir an diesem Tag noch viele Stunden vor diesem Medium, das damals neben Radio und noch ohne Internet und Smartphone der einzige Nachrichtenkanal war.

Heute vor genau 19 Jahren, am 11.09.2001 waren diese Schreckensbilder zu sehen. Es stürzte die Welt in einer dauerhaften Krise, die bis heute noch andauert. Das Ereignis hatte Folgen für die globale Welt. Der Afghanistankrieg, die Änderung der Weltordnung, das politische Erwachen der arabischen Staaten, die Erfahrung, dass eine Weltmacht wie die USA verletzt werden kann.

Ich ertappe mich oft in Gedanken und in den Worten, dass ich „vor dem 11.09.“ und „nach dem 11.09.“ spreche, wenn ich mit anderen über Weltpolitik diskutiere. Noch aber ist unsere Zeit in „v. Chr.“ und „n. Chr.“ eingeteilt. Aber manche Krisentermine haben sich fest in meine Gedanken eingeprägt. Und dazu gehört auch der 11. September 2001. Ich bin gespannt, ob die Menschen in ein paar Jahren von „vor Corona“ und „nach Corona“ sprechen werden.

Wenn Corona will, steht (noch) manches still, Update 179 vom 10.09.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Auf geht’s nach München

Das war wirklich eine beeindruckende Vorstellung am 14.08.2020. Im Viertelfinale der diesjährigen Championsleague gewinnt Bayern München gegen den FC Barcelona mit 8 : 2. Gestern habe ich davon geschrieben, wie ich Fan dieses bayrischen Fußballvereins wurde in einer Zeit, in der niemand auch nur mit einem Gedanken daran gedacht hat, was aus diesem Verein einmal werden würde: der Sportverein mit den meisten Mitgliedern auf der Welt.

Also fahren meine Frau und ich einen Tag nach dem Viertelfinalspiel der Championsleague nach München. Das war am 15.08. und damit an unserem 39. Hochzeitstag. Was für ein Wunsch: den Hochzeitstag in München zu verbringen, vor allem nach diesem besonderen Fußballspiel. Das Wetter war angenehm. Nicht zu heiß und nicht zu kalt. Ein paar Wolken am Himmel. Wir setzen uns ins Auto und fahren los. Zuerst in Richtung Lehental. Wir kommen nach Oed, fahren weiter nach Neukirchen b. Sulzbach-Rosenberg. Dort gibt es eine kleine Kaffeepause und dann endlich die letzte Etappe. Wir biegen vor Hirschbach nach links ein und dann sind wir da. „München“ steht groß auf dem Ortsschild. Nach fast 24 Jahren hier in der Hersbrucker Schweiz sind wir endlich einmal in München angekommen. Es gibt etwa 15 Häuser zu sehen. Alles ist ruhig. Von einem Fernsehturm oder einer Allianz-Arena ist nichts zu sehen. Wir fahren ganz durch und parken an einem Wanderparkplatz. Wir gehen in den Wald hinein auf einen herrlichen Wanderweg in Richtung Hirschbach. Sanfter Waldboden lässt das Herz höher schlagen. Es tröpfelt ein wenig und wir kehren um. Am Auto angekommen, steigen wir ein und fahren nach Hause. Ich denke: Endlich war ich in München. Wenn auch nicht in der bayrischen Hauptstadt.

Aber so kann es gehen. Leicht ist etwas zu verwechseln. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem Wirt beim Kaffeetrinken. Er meinte spitzbübisch: „Ich habe schon mit Auswärtigen gewettet, dass ich in 15 Minuten in München mit dem Fahrrad bin. Manche haben sich darauf eingelassen und ich habe die Wette gewonnen“.

So kann man sich täuschen. Manchmal ist es eben so, dass zwei das gleiche sagen, aber nicht dasselbe meinen. Es ist fast so wie in der Coronakrise. In letzter Zeit häufen sich die Diskussionen um Verschwörungstheorien. Ich habe gelesen, dass manche leugnen, dass es diesen Virus überhaupt geben würde. Und zum Thema „verwechseln“: Bei den vielen Tests wurden auch schon welche verwechselt bzw. positiv Getestete sind nicht mehr auffindbar. Das ist für mich auch im Nachhinein wirklich überraschend, was das Wort „München“ in mir ausgelöst hat.

Wenn Corona will, steht (noch) manches still, Update 178 vom 09.09.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Zu den Siegern gehören wollen (dieses Update ist in verkürzter Form im Gemeindebrief September/Oktober 2020 veröffentlicht worden)

Am 17.06.2020 sitzen die Pfarrer der Regionalgruppe Hersbruck im Nikolaus-Selnecker-Haus zusammen. Überlegt wird, ob und wann wieder ein gemeinsamer Gemeindebrief inmitten der Coronakrise geschrieben werden soll. Ende August/Anfang September soll einer erscheinen. „Wer macht die Andacht auf der ersten Seite? Gerhard, Du hättest doch diese beim normalen Gemeindebrief Anfang Mai geschrieben. Wie wäre es also damit?“ „Ja, stimmt. Ich hatte zwei tolle Bilder von Schülerinnen aus der vierten Klasse zum Pfingstgeschehen und die Andacht war schon abgeschickt. Aber von diesem Thema kann ich jetzt erst einmal nicht mehr schreiben“. „Dir fällt schon etwas ein. Schließlich schreibst Du doch seit dem 16.03. jeden Tag etwas“. „O.k., mach ich. Irgendetwas wird mir schon einfallen“.

Aber welches Thema soll ich jetzt Ende August/Anfang September nehmen? „Nicht schon wieder etwas über Corona“ – war mein Stoßseufzer. Der „normale“ Gemeindebrief wäre Ende Juli erschienen. Ganz klar: Da ist das Thema „Urlaub, Ruhe, Erholung“ dran. Da hat die Bibel viel zu sagen. Erntedankfest ist auch erst im Oktober. Zu spät für ein Thema auf der ersten Seite. Also nehme ich meinen Kalender her und denke über Tage Anfang September in meinem Leben nach.

Da fallen mir Gedanken zum 09.09. ein. Und damit habe ich mein Thema. Denn ich erinnere mich an den 09.09.1966. Es ist ein Freitag. Ich stehe mit so zehn anderen Jungs in der Mitte unseres Dorfes Habelsee. Jeder hat sein Fahrrad in der Hand und es kommt zum Gespräch. Die anderen diskutieren lebhaft über eine Fußballmannschaft, den sie den „Club“ nennen. Ich habe keine Ahnung von wem sie reden. In mir ist mit meinen acht Jahren eine Fußballbegeisterung erst vor kurzem erwacht, weil ich die Fußballweltmeisterschaft in England verfolgt habe. Das sog. „Wembleytor“ ist heute noch in aller Munde bei Fußballkennern. Meine Freunde reden und reden über den „Club“ und wie toll dieser ist und dass er deutscher Rekordmeister ist. Diese Empathie hat mir gefallen. Im Stillen habe ich bei mir gedacht: Ich will jetzt auch ein Fan des besten deutschen Fußballvereins sein. Aber wie bekomme ich das heraus? Ich denke mir: „Na, das ist der, der morgen am höchsten gewinnt“.

Gespannt warte ich auf die Ergebnisse des Spieltages. Am Abend in der Sportschau passe ich genau auf und lese, dass der Karlsruher SC zu Hause gegen Bayern München mit 1 : 6 verloren hat. Keine andere Mannschaft hat an diesem Spieltag höher gewonnen. Also muss dieser Verein, der FC Bayern München, jetzt mein Verein sein so wie auch bei den anderen Freunden im Dorf. Einen Tag später habe ich stolz verkündet, dass ich jetzt auch wie sie Fan von Bayern München bin. Aber die anderen schauen mich mitleidenswert an. „Fan von Bayern München. Bist du blöd? Wie kannst du das denn sein? Diese Mannschaft ist doch erst einmal deutscher Meister geworden. Wir sind Fans vom 1. FC Nürnberg“.

Da hatte ich es. Anscheinend hatte ich auf das falsche Pferd gesetzt. Mir war damals wichtig, ganz vorne dabei zu sein. Ich wollte zu den Siegern gehören. Damals gewann übrigens Fortuna Düsseldorf bei Hannover 96 mit 2 : 0. Viel hätte also nicht gefehlt und ich wäre Fan von Fortuna Düsseldorf geworden. Offenbar hatte ich im Hinterkopf schon etwas geahnt von dem, was Paulus so ausdrückt: „Wisst ihr nicht: Die im Stadion laufen, die laufen alle, aber nur einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt. Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge, jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen“ (1. Korinther 9, 24 – 25).

Und irgendwie wollte ich zu den absoluten Siegern gehören. Das Gelächter der anderen von damals höre ich manchmal heute noch in meinen Ohren. Heute allerdings lacht mich dafür keiner mehr aus.

Wenn Corona will, steht (noch) manches still, Update 177 vom 08.09.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Mein erster Schultag

Heute ist Schulanfang. In normalen Zeiten feiern wir einen lebendigen Gottesdienst mit den Schulanfängern. Der ökumenische Gottesdienst zeichnet sich vor allem durch viele Kinderlieder aus, die mit Bewegungen unterstützt werden und in denen auch die Erwachsenen mitmachen. Da gibt es auch ein paar Klassiker wie z.B. „Volltreffer“, „Einfach spitze, dass du da bist“, „Bist du groß oder bist du klein“ oder auch „Gottes Liebe ist so wunderbar“.

In diesem Jahr ist alles anders. Mit der Maske singen wollten wir den Kindern nicht zumuten. Auch die Anzahl der Teilnehmer ist beschränkt. In normalen Zeiten erlebe ich, wie die Eltern sich Urlaub nehmen, die Großeltern und Verwandte dabei sind und hinterher geht es noch zum gemeinsamen Essen in eine Gastwirtschaft. Viele Großeltern geben auch noch eine Schultüte weiter. Einmal hat mir ein Erstklässer gesagt, dass er insgesamt vier Schultüten bekommen hat.

Meine Gedanken gehen zurück an meine eigene Einschulung. Solch ein großes Fest wie heutzutage war das damals nicht. Bei uns waren höchstens die Mütter dabei. Schulgottesdienst wurde zum Anfang gefeiert, aber mit Kirchenchorälen und Orgelspiel. Dann noch kurz in die Schule und das obligatorische Klassenfoto. Wir waren insgesamt 6 Kinder, im Jahr vorher waren es über zehn und im Jahr danach auch fast 10 Kinder. In drei Jahren wurden von 1963 – 1965 in einem Dorf wie Habelsee mit etwa 200 Einwohner fast 30 Kinder eingeschult. Nach heutigen Maßstäben unvorstellbar. Ich sage oft: „Wir waren sechs Kinder in einem Jahr, jetzt ist es ein Kind in sechs Jahren“.

Ich schaue auf mein Klassenfoto. Es ist auch nach 56 Jahren gut zu erkennen, wer ich bin. Ich habe schon damals mit den „Pfunden kämpfen“ müssen. Was mir auch noch auffällt: Ich halte als Einziger die Schultüte so komisch. Vermutlich war das unbewusst. Ich erinnere mich nicht, dass ich das als „Rebell“ gemacht habe. Das war mir offenbar bequemer und ich habe nicht auf die anderen geschaut. Dann hätte ich das wohl bemerkt und vielleicht die Schultüte auch „richtig“ gehalten. Nach Schulgottesdienst, Klassenfoto und ein paar gute Worte für Mütter und Schulkinder, gingen wir nach Hause. Und dort wartete auf uns die Mitarbeit auf dem Hof. Ein „erster Schultag unplugged“ – wie es heute neuhochdeutsch genannt wird. Gemeinsames Festessen mit Verwandtschaft in einer Gastwirtschaft – undenkbar im Jahr 1964. Schule – das gehörte zum Leben dazu wie das Essen. Einschulung gab es im Vorübergehen. Ich freue mich, dass die Schulanfänger das heutzutage anders erleben.

Wenn Corona will, steht (noch) manches still, Update 176 vom 07.09.2020

Ein Wassereimer als Lebensretter

Wir haben Anfang September. Wenn ich auf die Felder schaue, sehe ich kein Getreide mehr. Die Maisfelder stehen noch. Aber auch sie werden bald abgeerntet sein. Früher war das anders. Zum einen gab es vor rund 50 Jahren noch die sog. Sommergerste. Sie wurde hauptsächlich verkauft und mit ihr wurde Bier gebraucht. Auch den Sommerweizen sehe ich praktisch nicht mehr. Dieser wurde in meiner Kindheit fast immer erst im September gedroschen.

Diese zu Ende gehende Erntezeit erinnert mich an eine Krisensituation, an die ich mich selbst nicht mehr erinnere. Mein Vater hat sie mir aber oft genug erzählt. Ich war etwa 3 Jahre alt. Wir hatten zu dieser Zeit einen „Ködel & Böhm“ als Mähdrescher. Damals noch mit Sackabfüllung. Deshalb saß mein Vater vorne auf dem Fahrersitz und mein Opa oder ein Mann aus dem Dorf kümmerte sich darum, dass der volle Getreidesack an die Seite gestellt und ein neuer leerer Sack eingespannt wurde. In der Regel war die Plattform so groß, dass mein Vater einmal um das Feld dreschen konnte oder zumindest einmal in der Länge zum nächsten Ende. Als kleiner Junge war ich natürlich bei diesem Dreschen immer dabei. Am Ende des Feldes stand ein Gummiwagen und auf diesen wurden die vollen Säcke abgeladen.

Eines Tages fährt mein Vater mit dem Mähdrescher zum Wagen und sieht, dass sich dieser ein wenig bewegt hat. Offenbar war die Handbremse nicht richtig festgemacht bzw. der Bremsklotz lag nicht unter dem Reifen. Der Gummiwagen wurde aber von einem Eimer aufgehalten. In diesem war Wasser zum Kühlen der Getränke. Dann die Überraschung: Hinter dem Eimer lag ich und schlief. Irgendwie hatten die beiden Männer in der Hitze des „Erntegefechtes“ nicht gemerkt, dass ich nicht mit auf dem Mähdrescher war. Der Getreidewagen stand – Gott sei Dank – nicht allzu abschüssig. Dennoch weiß keiner, wie diese Situation ausgegangen wäre, wenn der Eimer nicht direkt vor mir gestanden hätte. Vielleicht wäre der Wagen auch über mich gerollt und hätte mich zerdrückt.

Im Nachhinein war es auch für meinen Vater natürlich – bei allem schlechtem Gewissen – ein Gottesgeschenk, dass ich überlebt habe. Denn das lese ich oft genug in der Zeitung, dass bei landwirtschaftlichen Arbeiten Kinder ums Leben kommen. Ich kann für mich heute nur die Worte aus dem Psalm 107 beten: „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich“