Archiv des Autors: Pfr. Gerhard Metzger

Wenn Corona will, steht (wieder überall) fast alles still, Update 335 vom 13.02.2021

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Gib mir die richtigen Worte

Meine Updates in den letzten Tagen haben mich selbst ziemlich aufgewühlt. Ich habe einige Rückmeldungen bekommen. Manche/r Leser/-in war dabei als Simon vor sieben Jahren gestorben ist. Ich hatte eine Gebetsgruppe, die von mir besonders in seinen letzten Tagen informiert worden ist. Da sind vermutlich nicht nur bei mir Erinnerungen hochgekommen. Das Gute daran war auch, dass ich diese meine Erinnerungen jetzt einmal niedergeschrieben habe und sie formuliert worden sind. Habe ich den richtigen Ton getroffen? Oder hat es eher so gewirkt, als müsste ich mich nach außen herausstellen? War manches voyeuristisch? Ich weiß es nicht. Manche Worte wirken auf Leser ja auch ganz unterschiedlich. Mit diesem Update 335 habe ich immerhin an 14 Tagen den/die Leser/-in miterleben lassen, wie das für mich und meiner Familie vor sieben Jahren war. Ab morgen werden auch wieder andere Themen im Mittelpunkt stehen bei meinen „Täglichen Gedanken“. Aber bei der einen oder anderen Gelegenheit komme ich doch noch einmal auf Simon zu sprechen. Schließlich fällt in diese kommende Zeit der Jahrestag seiner Beerdigung und auch sein Geburtstag. Deshalb soll für mich jetzt ein Lied von Manfred Siebald dieses Update beenden. Dieses Lied steht nicht nur über meine Worte bei den „Täglichen Gedanken“ in dieser Coronakrise. Es gilt für alle Worte, die Menschen sprechen.

Gib mir die richtigen Worte, gib mir den richtigen Ton.

Worte, die deutlich für jeden von dir reden – gib mir genug davon.

Worte, die klären, Worte, die stören, so man vorbeilebt an dir;

Wunden zu finden und sie zu verbinden – gib mir die Worte dafür.

Gib mir die guten Gedanken, nimm mir das Netzt vom Verstand,

und lass mein Denken und fkühlen vor dir spielen so wie ein Kind im Sand.

Staunend und sehen, prüfend, verstehend nehm ich die Welt an von dir,

sie zu durchdringen, dir wiederzubringen – gib mir Gedanken dafür.

Gib mir den längeren Atem, mein Atem reicht nicht sehr wiet.

Ich will noch einmal verstohlen Atem holen in deiner Ewigkeit.

Wenn ich die Meile mit einem teile, der er alleine nicht schafft,

lass auf der zweiten mich ihn noch begleiten gib mir den Atem, die Kraft.

Das Lied wird von meiner Schwägerin Silvia Dörr gespielt.

Wenn Corona will, steht (wieder überall) fast alles still, Update 334 vom 12.02.2021

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Der Freitagsweg zum Sportplatz

Heute ist der 12.02.2021. Heute vor genau sieben Jahren, am 12.02.2014 lautet die Losung der Herrnhuter Losungen: „Der Mensch hat keine Macht über den Tag des Todes“ (Prediger 8, 8). Wie wahr ist dieser Spruch auch in diesen Tagen!!

Weil heute ein Freitag ist, erinnere ich mich an viele Freitagnachmittage mit ihm. Ich habe schon vor zwei Tagen davon geschrieben, dass ich vor allem an Wochenenden viel mit ihm unterwegs war. Freitage hatten ein bestimmtes Ritual. Ich bin um 14.30 Uhr zur Jungschargruppe gegangen und war dort knapp eine halbe Stunde dabei. Ab 14.50 Uhr ging mein Blick aus dem Fenster in Richtung Nürnberger Straße. Irgendwann sah ich den Bus, der Simon nach Hause gebracht hat. Dann bin ich weggegangen um Simon in Empfang zu nehmen. Im Haus gab es in der Regel noch etwas zu Essen und zu Trinken. Dann habe ich mich mit ihm auf dem Weg gemacht.

Unser Weg ging in Richtung Sportplatz des SV Altensittenbach. Er liegt relativ nahe. Simon liebte es, beim Fußballtraining der Jugendlichen und beim Tennistraining zuzuschauen. Jedenfalls freute er sich darüber und lachte oft laut auf. In mir war manchmal auch ein wenig Wehmut. Weil ich selbst sportbegeistert bin, habe ich mir dann fast immer vorgestellt, wie es mit einem gesunden Simon wäre. Hätte er gerne Fußball oder Tennis gespielt? Wie hätte ich ihn unterstützen können? Es ist ja nicht nur bei mir so, dass ein Vater gerne mit einem Kind diese Begeisterung teilt und sich freut, wenn der Filius es gut macht. Das Gute an dieser Geschichte war, dass ich dann auch immer Kinder und Erwachsene aus der Kirchengemeinde getroffen habe und ein kleiner Plausch die Beziehung gefestigt hat.

Nach dem Tode hatte ich mir vorgenommen, das weiterzuführen. Es ist mir nicht so gelungen wie ich es gerne gehabt hätte. Irgendwie war dann die Erinnerung an dieses Ritual mit Simon so stark, dass es mich zu sehr aufgewühlt hat.

Wenn Corona will, steht (wieder überall) fast alles still, Update 333 vom 11.02.2021

Wir danken Dir für Simon

Heute ist der 11.02.2021. Heute vor genau sieben Jahren, am 11.02.2014 lautet die Losung der Herrnhuter Losungen: „Bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht“ (Psalm 36, 10).

Heute sieben Jahre später erinnere ich mich an ein Schreiben vom 24.06.2008. Wir waren damals zur Kur in Kölpinsee/Usedom. Zum fünften Mal waren wir damals dort. Im Laufe der Zeit haben wir auch Einheimische kennengelernt. Wir sind sonntags zu den Gottesdiensten nach Koserow gefahren und fielen damit auf. Wir hatten auch immer Simon dabei und so gab es hinterher Gespräche über unsere Familiensituation. Im Brief steht ein Gebet.

Es lautet: „Jesus, ich danke Dir für diesen Tag. Ich danke Dir für Simon. Ich danke Dir für sein gelungenes Leben. Ich danke dir, dass Du mir zeigst heute, wie groß und wichtig Simon ist. Wie bedeutend er für Dich ist. Ich danke Dir für diese Freude an ihm, die Du mir jetzt ins Herz legst und die aus deinem Herzen kommt – an der du mich teilhaben lässt. Simon bereitet dir den Weg wie Johannes. Ich danke dir für die Begegnung mit Simon und für die Gespräche mit seinen Eltern. Segne alle miteinander. Amen

Wenn Corona will, steht (wieder überall) fast alles still, Update 332 vom 10.02.2021

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Tut, Tut

Heute ist der 10.02.2021. Heute vor genau sieben Jahren, am 10.02.2014 lautet der Lehrtext der Herrnhuter Losungen:  „Alle Dingen sind durch das Wort gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen“ (Johannes 1, 3 – 4).

Es ist ein Montag. Simon ist genau einen Tag tot. Ich bin mit meiner Familien wieder zu Hause in Altensittenbach. Am Nachmittag suche ich die frische Luft. Ich gehe auf dem Weg neben den Gleisen nach Reichenschwand. Wie oft bin ich diesen Weg mit Simon gegangen? „Gehen Sie so oft wie möglich mit ihm spazieren. Dann erhalten sie lange die Gehfähigkeit Ihres Sohnes“. Diese Worte von einem Vater eines MPS-Kindes aus dem Jahr 2000 haben sich in mir eingeprägt. So oft ich konnte, habe ich das in die Tat umgesetzt.

Vor allem am Freitagnachmittag und am Samstag war das oft der Fall. Nach Reichenschwand und zurück waren es immerhin gute 6 Kilometer. Er war immer an der Hand und wurde so von mir geführt. Später habe ich ihn damit festgehalten, damit er nicht umgefallen ist. Er konnte irgendwann sein Gleichgewicht nicht mehr halten. Diesen Weg neben den Zuggleisen liebte Simon. Er war immer begeistert, wenn ein Zug gefahren ist. Und es fuhren in einer Stunde sechs Personenzüge und zwei Güterzüge. Wenn einer „anrauschte“, dann bin ich mit ihm auch ein wenig in Richtung Gleise gegangen und er hat schon von weitem den Zug gesehen. Er hat sich gefreut und immer wieder einmal „Tut, tut“ gesagt. Das war seine Umschreibung für „Zug“.

Wenn ich heute diesen Weg nehme, sind die Erinnerungen an ihm natürlich sehr hoch. Denn Erinnerungen können mir nicht genommen werden. Ein besonderes Erlebnis habe ich auch nicht vergessen. Eines Tages laufe ich mit Simon fest an der Hand in Richtung Fußballplatz. Er konnte damals noch richtig gut laufen, ich musste ihn aber festhalten. Er hat dabei so stark gezogen, dass ich in meiner linken Hand oft ein Ziehen spürte und ich schon ein wenig Angst hatte, einen Tennisarm zu bekommen. Kurz vor der Einmündung in die Fred-Schäfer-Straße hält ein Auto neben mir und ein Mann steigt aus. Er fragt danach, warum ich diesen Jugendlichen so stark führen würde. Offenbar hatte er eine Entführung vermutet. Jedenfalls kam ihm das „spanisch“ vor. Ich habe ihm alles erklärt und er war zufrieden. Immerhin hatte er bemerkt, dass Simon krank war. Aber solche oft falsche Wahrnehmungen anderer Menschen hat es ja in der Coronakrise auch schon gegeben, wenn manche Leute andere wegen Nicht-Beachtung der Coronaregeln angezeigt haben.

Wenn Corona will, steht (wieder überall) fast alles still, Update 331 vom 09.02.2021

Tägliche Gedanken von Pf.r Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Der Regenbogen als Zeichen Gottes

Heute ist der 09.02.2021. Heute vor genau sieben Jahren, am 09.02.2014 lautet der Lehrtext der Herrnhuter Losungen: Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?“ (Römer 8, 35).

Es ist ein Sonntag. Es ist 2.00 Uhr. Ich bin von einem kurzen Schlaf aufgewacht und gehe zum Bett von Simon. Er atmet wie durch ein kleines Röhrchen – ganz langsam. Ich bin erleichtert. Er atmet!! Ich singe zwei Lieder mit Gitarre und lege mich wieder hin. Um 3.00 Uhr kommen zwei Pfleger in das Zimmer und richten Simon im Bett schön hin. Alle vier Stunden sollte das sein. In dieser Zeit bin ich immer im Gemeinschaftszimmer und rede ein paar Worte mit den anderen. Dann gehe ich wieder in das Zimmer von Simon. Gegen 5.00 Uhr wache ich auf. Wieder nehme ich die Gitarre und singe ein paar Lieder. Ich lege mich wieder hin.

Um 7.00 Uhr kommen die Betreuer wieder in das Zimmer und schauen, dass Simon gut liegt. Ich bin nur etwa 5 Sekunden im Gemeinschaftszimmer, als plötzlich ein Pfleger hereinstürmt und ruft: „Ich glaube, Simon stirbt jetzt“. Ich eile zu ihm hin und sehe, dass er nicht mehr atmet. Ich fühle seinen Puls. Ganz schwach ist er. Nach ein paar Sekunden spüre ich seinen Puls nicht mehr. Ich nehme ihn die Sauerstoffbrille ab und plötzlich macht Simon einen großen „Schnaufer“ – und das war es. Ich wundere mich, dass ich so ruhig bleiben kann. Ich spreche ein Gebet und den Psalm 23. Ich halte seine Hände und streichle seinen Kopf. Ich schließe seinen Mund und warte – warte ein paar Sekunden, Minuten. Erst dann kann ich weinen. Ich gehe von seinem Bett weg und schaue auf die Uhr. Es ist 7.05 Uhr. Also ist er genau um 7.00 Uhr gestorben. Ich weiß nicht warum. Aber irgendwie wollte ich die genaue Todeszeit festhalten. Ich greife zum Telefon und rufe meine Familie an. Sie waren in einer Ferienwohnung untergebracht – etwa einen Kilometer entfernt. Ich teile Ihnen den Tod von Simon mit. In wenigen Minuten werde ich sie holen. Vorher rufe ich noch meine Kollegen an, welche die beiden Gottesdienste in Oberkrumbach und Altensittenbach übernommen haben. Sie sollten den Tod von Simon der Gemeinde nach dem Gottesdienst mitteilen. Dann gäbe es wenigstens keine Gerüchte, sondern Klarheit. Ich gehe wieder zum Totenbett von Simon. Ich verweile ein wenig und fahre dann zu meiner Familie.

Alle zusammen fahren wir zurück in die Wohnung von Simon und trauern zusammen. Irgendwie sind wir auch gefasst. Sein Tod kam nicht überraschend und plötzlich! So waren wir darauf vorbereitet. Da bemerkt meine Frau an diesem Sonntagmorgen einen Regenbogen. Es ist ein besonderer, ein doppelter Regenbogen. Hatte ich vorher noch nie gesehen. Wir nehmen das als ein Zeichen Gottes für uns. So wie für Noah mit dem Regenbogen ein neuer Bund mit Gott aufgestellt wurde, ein Zeichen für die Nähe Gottes nach der Flutkatastrophe, so nehmen wir dieses Zeichen am Todestag von Simon als Zeichen der Nähe Gottes für uns. Interessant war, dass die Geschichte von Noah am Sonntag vorher Predigtthema war und meine Frau darüber eine sehr tiefgründige und seelsorgerliche Auslegung im Gottesdienst in Bamberg gehört hat. Auch so können die Wege Gottes sein. „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“ (1. Mose 8, 22).

Wenn Corona will, steht (wieder überall) fast alles still, update 330 vom 08.02.2021

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Die letzte Nacht mit Simon

Heute ist der 08.02.2021. Heute vor genau sieben Jahren, am 08.02.2014 lautet die Losung der Herrnhuter Losungen: Ich rufe zu Gott, dem Allerhöchsten, zu Gott, der meine Sache zum guten Ende führt“ (Psalm 57, 3).

Es ist ein Samstag. Es ist Nachmittag. Simon geht es nicht gut. Die Ärztin von der ambulanten Palliativstation kommt und schaut nach ihm. Sie meint, dass es vielleicht noch viele Tage dauern würde bis Simon sterben wird. Wir sollten uns überlegen, wie wir die nächsten Tage organisieren wollen. Dann geht sie wieder. Meine Frau und eine Tochter von uns gehen noch einkaufen.

Ich bin bei ihm und es ist gegen 19.30 Uhr. Plötzlich hört Simon auf zu Schnaufen. Ich drehe ihn auf die Seite und klopfe ihn auf den Rücken. Langsam kommt er wieder zu sich. Kurze Zeit später kommen die Beiden vom Einkaufen zurück und ich erzähle, was passiert ist. Wir reden darüber und sind sehr verunsichert. In unseren Köpfen nistet sich langsam der Gedanke ein, dass Simon die Nacht vielleicht nicht überleben wird. Noch einmal kommt die Ärztin der Palliativen Versorgung. Sie wundert sich, dass es ihm jetzt so schlecht geht. Er atmet fast nur noch wie durch ein Trinkröhrchen. Für die Nacht vereinbaren wir, dass ich bei ihm bleibe. Wie wird die Nacht werden? Aber jetzt heißt es erst einmal „Ruhe bewahren und abwarten“. Wie immer lege ich mir eine CD zurecht. Es ist „Klassik für Kinder“. Auch die Gitarre ist griffbereit und das Liederheft „Feiert Jesus 1“ liegt auf dem Tisch. So kann ich mich doch relativ gut auf die Nacht vorbereiten.

Wenn Corona will, steht (wieder überall) fast alles still, update 329 vom 07.02.2021

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Tor! Tor!

Heute ist der 07.02.2021. Heute vor genau sieben Jahren, am 07.02.2014 lautet die Losung der Herrnhuter Losungen: „Jene verlassen sich auf Wagen und Rosse; wir aber denken an den Namen des Herrn, unseres Gottes“ (Psalm 20, 8).

Es ist ein Freitag. Den ganzen Tag sorgen wir uns um die Gesundheit von Simon. Langsam aber sicher leben wir damit, diese Tage irgendwie zu leben und zu überleben. Am Abend denke ich daran, dass am Freitag die Fußballbundesliga mit einem Spiel beginnt. Meine Erinnerungen gehen zurück an die Zeit, in der Simon etwa zwei oder drei Jahre alt war. Er war ein begeisterter Fußballspieler. Wenn er einen Ball gesehen hat, dann wollte er immer mit ihm spielen. Viele Jahre später ging er in die Lebenshilfe. Einmal war die ganze Gruppe auf der Bowlingbahn. Irgendwann lag vor Simon solch eine große Bowlingkugel. Simon nimmt Anlauf und wollte mit einem Fuß diese Kugel wie einen Fußball spielen. Im letzten Moment wurde er daran gehindert.

Ich erinnere mich daran, dass er schon als ganz kleines Kind voller Eifer Tischfußball gespielt hat. Er hat sich riesig gefreut, wenn der Ball ins Tor gegangen ist. „Tor, Tor“. Er konnte nur ganz wenige Worte sagen. Aber dieses Wort gehörte dazu. Im Stillen hatte ich mir schon ausgerechnet, wie es sein würde mit ihm Fußball zu spielen. Es gehen eben auch kleine Wünsche nicht in Erfüllung, wenn solche große Probleme vor einem liegen. 1995 gewann Boris Becker die Australian Open. Simon konnte nicht reden. Aber wenn ich zu ihm sagte: „Simon, wer ist Boris Becker?“ Dann stand er auf und bewegte seine Hand wie ein Tennisspieler. Auch jetzt beim Schreiben kommen mir Tränen über diese Erinnerungen.

Wenn Corona will, steht (wieder überall) fast alles still, Update 328 vom 06.02.2021

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

So sieht man sich wieder

Heute ist der 06.02.2021. Heute vor genau sieben Jahre, am 06.02.2014 lautet der Lehrtext der Herrnhuter Losungen: „Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt nach der Schrift: „Liebe deinen Nächstgen wie dich selbst“, so tut ihr recht“ (Jakobus 2, 8).

Es ist ein Donnerstag. Es ist Nachmittag gegen 16.00 Uhr. Ich sitze auf einen Stuhl am Bett von Simon. Meine Frau ist gerade einkaufen. Meine Gedanken gehen zurück an einen Einkauf mit Simon bei der NORMA in Altensittenbach. Ich habe ihn oft mitgenommen. Er war in Bewegung und freute sich an den Menschen und an der Landschaft. Es war in einer Zeit, in der er noch sehr gut an der Hand laufen konnte. Ich gehe mit ihm in das Innere des Gebäudes. Mit der rechten Hand fahre ich den Einkaufswagen. Mit der linken Hand halte ich meinen Sohn.

Plötzlich von einer Sekunde auf die andere stöhnt Simon auf und fällt zu Boden. Ich wusste sofort: Das ist ein epileptischer Anfall. Ich konnte ihn immerhin noch ein wenig am Boden auffangen. Leblos lag er da. Ich hatte ähnliche Situationen schon mehrmals erlebt. Etwas ein bis zweimal im Monat hatte er diesen Krampf. Aber so ohne Vorankündigung habe ich es noch nicht erlebt gehabt. Hätte ich Vorzeichen gesehen, hätte ich ihn nicht mitgenommen. Nur 2 m entfernt von mir steht ein Mann und geht sofort auf mich zu. Er beugt sich nach unten und ich sehe sofort, dass er sich auskennt. Noch überraschender für mich waren seine Worte: „Das ist doch der Simon“. Nach der Rückfrage von mir, erklärt er, dass er in Schönberg in der Lebenshilfe arbeitet. Wir bringen Simon gemeinsam nach Hause. Ich bedanke mich noch einmal und er verabschiedet sich.

Viele Jahre habe ich ihn nicht mehr gesehen. Dann im Oktober 2020 erlebe ich eine Überraschung. Vor einer Beerdigung kommt ein Mann auf mich zu mit den Worten: „Erkennen Sie mich?“ Ich musste verneinen zumal wir beide einen Nasen-Mund-Schutz trugen. „Ich habe Ihnen geholfen als sie mit ihrem Sohn Simon in der NORMA waren“. Mit diesen Worten war alles bei mir wieder präsent. „Wie geht es Simon?“ war seine nächste Frage. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass Simon schon über sechs Jahre tot ist. Natürlich fanden wir einen kleinen Plausch über diese gemeinsame Erinnerung vor vielen Jahren. Manches bleibt in den Gedanken und geht nicht verloren.

Wenn Corona will, steht (wieder überall) fast alles still, Update 327 vom 05.02.2021

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Dedu, du alla

Heute ist der 05.02.2021. Heute vor genau sieben Jahren, am 05.02.2014 lautet der Wochenspruch: „Kommt und seht an die Werke Gottes, der so wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern“ (Psalm 66, 5).

Es ist ein Mittwoch. Ich halte während der ganzen Nacht die Hände von Simon. Tatsächlich bin ich immer wieder einmal auf dem Stuhl sitzend eingenickt. Dazwischen war ich hellwach und habe Lieder gesungen. Welches Lied wird Simon vielleicht sehr gut wahrnehmen?

Meine Erinnerungen gehen zurück an eine bestimmte Situation. Meine Frau und ich waren zu einer Feier in der Lebenshilfe Schönberg, in der er schulisch betreut wurde. Die Lehrerin erzählt uns, dass Simon beim Aufstellen des Overhead-Projektors immer dieselben Laute von sich gibt. Sie lauten so ähnlich wie „Dedu, du alla“. Wir schmunzeln und klären auf. Diese Laute sind seine Worte für „Jesus, du allein“. Simon konnte viele Jahre lang bei bestimmten Gottesdiensten gut mitgenommen werden. Vor allem dort, wo die Predigt keinen allzu großen Raum einnahm. So war er z.B. bei Lobpreisgottesdiensten dabei und bei Familiengottesdiensten, bei denen aber auch Lobpreislieder gesungen wurden. Irgendwann haben wir gemerkt, dass er bei diesem einfachen Lied „Jesus, du allein“ versucht hat mitzusingen mit seinen eigenen Worten: „Dedu du alla“. Irgendwie hatte er sich das so eingeprägt, dass dieses Lied oft auf einer Folie mit dem Overhead gesungen wurde. Und so hat er bei jedem Aufstellen einer Leinwand und des Overheads dieses Lied in seiner Sprache geträllert: „Dedu, du alla“.

Ich habe in dieser Nacht an diesem Mittwoch im Februar und auch in den kommenden Tagen dieses Lied so oft wie möglich ihm vorgesungen. Ich hatte die Hoffnung, dass er dadurch in seinem Unbewussten sich erinnert an bestimmte Situationen in seinem Leben. Heute fällt es mir nicht immer leicht, wenn dieses Lied gesungen wird oder wenn ich es höre. Dann kommen mir die Szenen dieser Woche hoch. „Jesus, du allein bist genug, du bist. Alles für mich. Jesus, öffne mein Herz, lass mich sehn und verstehn, dass du mich liebst. Komm und fülle mein Herz. Gib mir neu deinen Geist. Du bist unser Gott, der Heilung bringt, Licht des Lebens, das das Dunkle durchdringt“. Kaum ein anderes Lied bringt bis zum heutigen Tag zum Ausdruck, was ich damals gefühlt und was ich Simon in seinem Todeskampf gewünscht habe.

Mein Schwägerin Silvia Dörr spielt hier das Lied. „Jesus, du allein“.

Wenn Corona will, steht (wieder überall) fast alles still, Update 326 vom 04.02.2021

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Die Sterbebegleitung beginnt

Heute ist der 04.02.2021. Heute vor genau sieben Jahren, am 04.02.2014 lautet der Lehrtext: „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau“ (Galaterbrief 4, 4).

Es ist ein Dienstag. Meine Frau ist in Bamberg und ich gehe meiner Arbeit als Pfarrer in Altensittenbach nach. Im Terminkalender stehen zwei Stunden Schulunterricht, Gespräche mit der Sekretärin und zwei Beerdigungsgespräche. Ich habe diese auf die Mittagsstunden gelegt. Die Beerdigungen sollten am Wochenende sein. Bei den Gesprächen habe ich den Angehörigen mitgeteilt, dass wegen Simon auch noch etwas dazwischenkommen könnte. Aber ich wollte diese Information nur als „Vorsichtsmaßnahme“ weitergeben. Am Abend hatte ich noch einen Elternabend für die Konfirmanden von Oberkrumbach geplant.

Ich komme gegen 14.00 Uhr nach Hause und werde von einer Tochter mit den Worten empfangen: „Papa. Es gab einen Anruf aus der Klinik. Die Ärzte können Simon nicht mehr helfen. Er wird das diesmal nicht mehr überleben“. Ich erstarre kurz. Gleichzeitig muss ich meine Gedanken gut sortieren. Was sollte ich jetzt tun? Welche Handlungen sind jetzt dran? Ich rufe den zuständigen Dekan an und erkläre ihm die Situation. Er meinte, ich solle mir die nächsten Tage frei machen und an der Seite von Simon und meiner Frau sein. Er übernehme die Beerdigungen. Ich solle ihm Stichworte sagen und Telefonnummern geben. Neben dem Dienstag abend mit dem Konfirmandeneltern in Oberkrumbach, war das Vorbereitungsgespräch mit den Konfirmandeneltern am Mittwoch in Altensittenbach geplant. Ich rufe jeweils eine Konfirmandenmutter an und bin bis heute dankbar, dass beide sich bereit erklärt haben, den Abend zu leiten. Ich denke noch an die beiden Gottesdienste am darauf folgenden Sonntag in den beiden Kirchengemeinden. Es sollte einen Predigttausch geben. Ich sollte in der Stadtkirche und in der Spitalkirche in Hersbruck predigen. Aber auch das habe ich noch hinbekommen.

Dann hieß es Koffer packen, Gitarre und das Liederheft „Feiert Jesus, I“ mitnehmen. So ausgerüstet kam ich tatsächlich gegen 21.30 Uhr in der Klinik in Bamberg an und habe auf Simon geschaut. Da lag er. Der Mund und die Augen waren zu. Er hat mit einer Maske gut geatmet und die Sauerstoffsättigung war sehr gut. Ich konnte wenig später meine Frau ablösen und am Bett von ihm wachen. Wie würde diese Nacht sein? Ich nahm die Gitarre und habe ihm Lieder vorgespielt und gesungen. In seinem Geist sollte wenigstens das Lob Gottes erklingen.