Archiv des Autors: Pfr. Gerhard Metzger

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 244 vom 14.11.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Vom Heldengedenktag zum Volkstrauertag

Morgen wird in ganz Deutschland der sog. Volkstrauertag begangen. Im Kirchenjahr ist das der „Vorletzte Sonntag im Kirchenjahr“. Aber bei wem ist dieser Tag mit dem kirchlichen Namen in Erinnerung? Die meisten kennen ihn vermutlich mit dem „weltlichen“ Namen. Ich kenne viele Leute, die an diesem Tag nicht in die Kirche gehen. In der Regel gibt es in Nicht-Coronazeiten Abordnungen von Soldaten- und /oder Veteranenvereinen. Dann sehe ich noch Abordnungen von der Reservistenkamerdaschaft und von der Feuerwehr. In der Regel sind Fahnen an angebrachten Haken aufgereiht.

Persönlich finde ich es schade, dass Menschen aus diesen Gründen dann nicht zum Gottesdienst kommen. Aber ich habe auf der anderen Seite dafür auch Verständnis. Dieser Volkstrauertag hat eine schlimme Vergangenheit. 1922 fand die erste Gedenkstunde im damaligen Reichstag statt. Er sollte an die Kriegsopfer und Opfer von Gewaltherrschaft aller Nationen erinnern. Mit den großen Kirchen wurde vereinbart, diesen Gedenktag am Sonntag Reminiscere (zweiter Sonntag in der Passionszeit) abzuhalten. Aber schon in der Weimarer Republik (1918 – 1933) gab es republikfeindliche Reden, die diesen Gedenktag fragwürdig machten. Nach dem Tod des Reispräsidenten Paul von Hindenburg am 2. August 1934 legten die Nationalsozialisten den Volkstrauertag als staatlichen Feiertag fest. Er bekam gleichzeitig eine andere Zielsetzung durch eine Namensänderung. Er wurde in „Heldengedenktag“ umbenannt und sein Charakter veränderte sich vollständig. Jetzt ging es nicht mehr um Totengedenken, sondern um Heldenverehrung. Selbst kriegsvorbereitende Schritte wurden um diesen Tag herum gelegt wie z.B. der Einmarsch deutscher Truppen in Österreich.

Kein Wunder, dass es schon unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg heftige Diskussionen um diesen Tag gab. Allmählich bildete sich aber das Thema „Gedenken an Kriegstote und Vermisste“ heraus. Weil die Zeit im November viel durch die Themen Tod, Zeit und Ewigkeit dominiert wird, wurde der Vorschlag gemacht, diesen Gedenktag am Ende des Kirchenjahres zu setzen. Weil keine direkten inhaltlichen Vorgaben gemacht wurden, wurde dieser Tag je nach Zeitgeschehen inhaltlich angepasst. Und das finde ich gut. So ist er herausgekommen aus der „Kriegsecke“ und ich empfinde ihn mehr und mehr als einen Gedenktag für den Frieden in der Welt. Der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge gibt jedes Jahr ein Heft dazu heraus, in dem auch Vorschläge für den Gottesdienst gemacht werden. Ich selbst bin seit meiner Kindheit an diesem Tag bei mindestens einer Rede am Kriegerdenkmahl dabei. Aber davon dann morgen mehr.

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 243 vom 13.11.2020

Tägliche Gedanken in einer schwierigen Zeit, heute von Jugendreferent Viktor Ambrusits (der Text wurde Ende Juli geschrieben. Es ist sehr interessant, den Text mit der gegenwärtigen zeit zu vergleichen)

Jugendarbeit in Zeiten von Corona

Gottesdienstverbot! Verbot von Gebetstreffen und Hauskreisen! Christliche Jugendgruppen dürfen sich nicht treffen! Osterwache und Osternacht dürfen nicht in Gemeinschaft gefeiert werden. Was sich wie Berichte aus Nordkorea oder China anhören, waren Schlagzeilen in Deutschland, im März 2020! Niemand hätte vor paar Wochen gedacht, dass bei uns sowas möglich wäre….


Aber nein, natürlich ist es keine Christenverfolgung oder willkürliche Beschränkung von Freiheiten von Gläubigen, wie manche Verschwörungsgläubige, sog. „Aluhüte“ es verbreiten wollen. Seit März wird unser Leben mehr oder weniger von Covid19 a.k.a. Corona bestimmt.


Als wir noch am 13. März (und da soll noch einer sagen, dass ein Freitag der 13. kein Unglückstag sei… ? ) darüber diskutiert haben, ob wir Vitamin C, oder ALBA Gottesdienste feiern können, oder absagen wollen, war mir noch nicht bewusst, dass ich mehrere Wochen lang nicht viel zu tun haben werde.


Mir persönlich ging es am Anfang ziemlich mies. Eine Art Hoffnungs – und Perspektivlosigkeit machte sich breit. Nach und nach wurden geplante Freizeiten, so wie an andere Aktionen abgesagt. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich mich langsam an die neue Situation gewöhnt habe.


Das erste mal während der vierzehn Jahre, die ich in Altensittenbach arbeite, hat es mich wirklich gestört, nicht vor Ort, sondern in Erlangen zu wohnen. Die „zufälligen“ Begegnungen haben mir gefehlt. Ich habe versucht, online die Kontakte in den Gruppen aufrecht zu halten, mehrmals „Werwolf“ als WhatsApp Version zu organisieren. Ab und zu bin ich zum Spazieren gehen nach Hersbruck gefahren und in der Ort rumgelaufen und um so manchmal jemand treffen können.


Natürlich war ich dann froh, als die Regelungen ab Pfingsten langsam gelockert wurden. Ich war beim ersten Gottesdienst nach dem „lockdown“ in der Thomaskirche dabei. Es war schon befremdlich, in Abstand mit MUNS (Mund und Nasenschutz) in der Kirche zu sitzen, ohne zu singen, oder sich gegenseitig die Hand geben zu können. Ich kann jeden verstehen, der so einen Gottesdienst nicht besuchen möchte.


Mittlerweile wurde noch mehr gelockert. Man darf den Mundschutz abnehmen, es dürfen mehr Menschen in die Kirche, So haben wir auch schon einen Vitamin C durchgeführt, der auch relativ gut besucht wurde. Meine Angst, dass die Jugendlichen nicht mehr zu den Gruppen kommen würden, hat sich auch nicht bestätigt. Ich war wirklich glücklich, dass zu unseren ersten IA- Treffen fast alle wieder gekommen sind. Wir haben auch die „Biberbande“ wieder aktiviert. Unser Jugendband hat auch angefangen zu proben und hat auch schon den ein oder anderen Gottesdienst musikalisch mitgestaltet.

Wird es jetzt alles wieder normal?
Ich weiß es nicht. Kein Mensch weiß es.
Ich höre und lese viel über die Pandemie. Prof. Drosten und Prof. Kekulé kenne ich (gefühlt) persönlich. Ich gebe zu, manchmal ist es mir viel zu viel Information. Ich bin mit meinen Gefühlen immer noch hin und her gerissen. Man neigt dazu die Nachrichten zur glauben, die positiv sind und Hoffnung wecken.

  • Impfstoff wird es schon im Oktober geben!
  • Der Virus ist doch nicht so schlimm und es ist bald vorbei!
  • Die Ansteckungen gehen mittlerweile doch zurück!
    Tja, leider sind die gute Nachrichten nicht immer die Wahrheiten. So bleibt es abzuwarten und zu hoffen. Wir können nicht wissen, wie es im September weitergeht. Wird es einen Weihnachtsgottesdienst mit Musical geben? Wie werden die Aktionen und Freizeiten nächstes Jahr aussehen?

    Eins ist aber sicher:
    Gottes Gemeinde in Altensittenbach hat schon viele Krisen in den vergangenen Jahrhunderten überlebt. Und erfahrungsgemäß ging sie gestärkt raus!
    Meine Hoffnung ist, dass die Sehsucht nach Gemeinschaft, Gottesdienst mit dem gemeinsamen Singen so stark ist, dass nach Covid19 die Angebote der Kirche mehr gefragt werden.
    Tja…
    Ich denke, dass ich in meinem nächsten Bericht mehr über positive Entwicklungen in der Kinder und Jugendarbeit in Altensittenbach schreiben kann.
    Vielen Dank für die finanzielle und geistliche Unterstützung meiner Arbeit in dieser besonderen Zeit!

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 242 vom 12.11.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Die Hoffnung behalten

Ich schaue aus dem Fenster. Wir haben Mitte November. Es ist trüb und relativ kalt. Ich denke zurück an bestimmte Situationen in meiner Kindheit an solchen Novembertagen. In mir ist ein Bild aus dem Jahr 1977. Es war das letzte Jahr, in denen bei uns auf dem Bauernhof Zuckerrüben angebaut wurden. Ich erinnere mich, dass es immer ein Abwägen war, wann die Zuckerrüben geerntet werden sollten. Ein Landwirt hatte ein bestimmtes Kontigent für seine Zuckerrübenlieferung in die Fabrik nach Ochsenfurt. Irgendwann kam dann der örtliche Vertreter und teilte den Termin für den nächsten Eisenbahnwaggon (die Zuckerrüben wurden damals zum Bahnhof gebracht) mit. Der Landwirt konnte den Termin akzeptieren oder einmal in der Erntesaison ablehnen. Dann wurde er aber zeitlich nach hinten „geschoben“. Die Chance war, dass dann die Zuckerrüben größer waren und der Ertrag höher. Die Gefahr war aber, dass mancher Waggon so spät terminiert war, dass es schon Frost gab oder dass bei der Ernte sehr viel Dreck an den Zuckerrüben haftete. Dieser Prozentsatz an Dreck wurde natürlich von der Gesamtmenge abgezogen. Also hieß es oft genug für uns als Familie: Auf dem Feld die Zuckerrüben mit einem Holzspan säubern und jede einzelne Zuckerrübe auf den Wagen werfen. Das war dann oftmals im November und eine wahre „Drecksarbeit“. Dieser Zuckerrübenanbau hatte so dazu geführt, dass unser Kirchweifest vom Sonntag nach Michaelis in den November gerückt war. Und auch dann war oft genug die Zuckerrübenernte noch nicht vorbei.

Der Herbst 1977 war sehr nass. Die Zuckerrüben wurden relativ dreckig geerntet. Aber es sollte das letzte Mal sein, weil mein Vater damals einen Teil der Landwirtschaft auf Bullenmast umgestellt hat. In diesem Herbst 1977 sehe ich meine Mutter auf dem Feld wie sie eine Zuckerrübe nach der anderen mit solch einem Holzspan gesäubert hat. Auch andere halfen mit. Ich war damals gerade 19 Jahre alt und kann mich wohl deshalb an die folgende Szene sehr gut erinnern. Irgendwann im Laufe der „Säuberungsaktion“ höre ich meine Mutter mehrmals sagen: „Bin ich froh, wenn das alles vorbei ist. Bin ich froh, dass diese Zuckerrübenernte zum letzten Mal bei uns ist“. Diese Hoffnung auf das Ende hat ihr die Kraft gegeben, auch in jenem Jahr noch einmal kräftig mitzuhelfen. Aber das Ende war in Sicht und sie hoffte auf bessere Zeiten. Ob sie das dann ein Jahr später so empfunden hat? Ich habe sie nie danach gefragt!

Aber ganz ehrlich: Vielleicht hatte sie ähnliche Gefühle wie ich, wenn ich mir das Ende der Coronapandemie herbeisehne. Und seit dem letzten Wochenende gibt es dafür wieder mehr Hoffnung. Denn die deutsche Firma Biontech macht Mut, dass ein Impfstoff doch in naher Zukunft zu erwarten ist. „Hoffnung, die sich verzögert, ängstet das Herz; wenn aber kommt, was man begehrt, das ist ein Baum des Lebens“ (Sprüche 13, 12).

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 241 vom 11.11.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Wer hat Angst vor dem Nussmärtel?

Herr Pfarrer, sie machen doch den Nussmärtel, oder?“ Ich war über diese Frage ein wenig erstaunt. Sie wurde mir von der Leiterin des evangelischen Kindergartens in Alerheim im Herbst 1988 gestellt. Ich war erst kurz vorher dort Pfarrer geworden. Zum ersten Mal war ich „Träger“ eines Kindergartens und habe immer wieder die Verbindung zur Leitung gesucht.

Nussmärtel“ – ich hatte diesen Ausdruck noch nie gehört. „Der kommt doch am 06.12, am Nikolaustag?“ war meine Rückfrage. „Den feiern wir hier nicht, der ist doch katholisch. Wir sind evangelisch und feiern den Nussmärtel“. Das war für mich eine sehr interessante Antwort. Der Hl. Martin v. Tours war ein Zeitgenosse von Augustin und Hieronymus und ich wusste bis dorthin nicht, dass Menschen im 4. Jahrhundert n. Chr. schon evangelisch sein konnten!!!! Aber sei es drum. In der 5. Klasse Hauptschule hat der Lehrer in einer Probe einmal gefragt, welcher Konfession Karl der Große (gest. 814 n. Chr.) angehört hat und einige Klassenkameraden hatten doch tatsächlich „evangelisch“ geschrieben.

Jedenfalls feiern die Rieser den Nussmärtel wie anderorts die Menschen den Nikolaustag. Und das mit allem drum und dran. Ich musste mich verkleiden und kam als unbekannter Nussmärtel zu den Kindern in den Kindergarten. Ja, wer steckt da nur im Kostüm drin? Übrigens war das kein solch ein schönes Kostüm wie bei einem Nikolaus! Es war eher ein wüster, brauner Umhang und hat mich an Johannes den Täufer erinnert. Natürlich kam jährlich die pädagogische Frage auf, ob die Kinder nicht zu sehr verschreckt werden. Also habe ich in den letzten drei Jahren die Nussmärtelkleidung vor den Kindern angezogen. Dann bin ich aus dem Haus hinaus und wieder herein. Und ich war überrascht: Die Kinder haben dennoch gerätselt, wer im Gewand steckt! Offenbar lieben Kinder auch das „Unheimliche, das Unerwartete, das nicht zu Fassende“. Aber letztlich erhalten sie ja Geschenke, es werden Lieder gesungen und der pädagogische Grundsatz gilt: Keine Angst zu verbreiten, sondern Freude weitergeben.

Heutzutage bin ich froh, wenn Am 11.11.397 n. Chr. ist der Hl. Martin im Alter von 81 Jahren in Tours beigesetzt worden und deshalb ist das heute sein Heiligengedenktag.

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 240 vom 10.11.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer scvhwierigen Zeit

Happy Birthday to you

Natürlich ist der heutige Tag für einen evangelischen Theologen ein besonderer Tag. Der 10.11. ist der Geburtstag von Martin Luther. Er selbst hat von seinem Geburtstag nichts geschrieben und um seine Eltern ranken sich einige Legenden. Der Hüttenmeister Hans Luder hat seine Frau Margarethe 1479 geheiratet. Sie sind nach Eisleben gezogen, wo der Vater eine Hütte pachtete. Seine Mutter hat später Philipp Melanchthon berichtet, dass er nachts geboren wurde. Wie es damals üblich war, wurde er schon am folgenden Tag getauft. Weil dieser Tag der Martinstag war, erhielt dieses erste Kind den Namen „Martin“.

Interessant ist, dass Luther selbst als Geburtsjahr 1482 angegeben hat. Aber damals nahm man es mit den Jahren nicht so genau. 1484 ist die Familie schon nach Mansfeld gezogen und die Familie wohnte in Untermiete. Aber das Erzgeschäft ging wohl so gut, dass ein schönes Wohnhaus bezogen wurde und die Familie nicht arm aufwuchs. Vor einigen Jahren hat sich das auch durch Geldfunde bestätigt. Luther selbst aber hat in seinen Erinnerungen ganz anders geschrieben. Er nennt seine Mutter, die oft mit ihm im Wald war und Holz zum Schüren gesammelt hat. Diese Zeilen legen eine relative Armut nahe. Vermutlich hat Luther da deshalb ein wenig „geflunkert“ um seiner Mutter eine Wertschätzung zu geben. Denn sein Vater hatte als „Selbständiger“ kaum Zeit für die Familie und seine Mutter wird fast nirgends erwähnt. 1491 wird sein Vater auch noch Mitglied des Stadtrates in Mansfeld. Schon mit sechs Jahren wird Martin in die Lateinschule geschickt und lernt Grammatik und etwas Logik, Rhetorik und Musik.

Ich zeige den Kindern in der vierten Klasse gerne Bilder aus dieser Zeit. Da ist sehr gut der Umgang mit den Schülern zu erkennen. Der Lehrer hatte eine Eselsmaske im Schulzimmer. Wenn jemand im Lateinunterricht aus Versehen oder bewusst ein deutsches Wort gebrauchte und entdeckt wurde, der musste die Eselsmaske anziehen bis es den nächsten Schüler traf. Außerdem musste er sich auf eine besondere Bank setzen. Von dieser Sitte her gibt es den Ausdruck der „Eselsbank“. Ich habe das in meiner Schulzeit noch kennengelernt, auch wenn ich niemals auf diesen besonderen Platz gehen musste. Auf diese Eselsbank kamen vor allem die „unruhigen“ Schüler/-innen. Ich war natürlich „immer“ brav!!!!!!!!!!! Aber die Erinnerung an solche Schulzeiten vor rund 500 Jahren werden am heutigen Tag durchaus in mir lebendig.

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 239 vom 09.11.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Die Mauer fällt

Es ist der 10.11.1989. Ich stehe wie so oft gegen 6.00 Uhr am Morgen auf. Wir sind als Familie grade gut ein Jahr in Alerheim/Ries. Ich gehe zum Briefkasten und hole mir die Zeitung, die ein örtlicher Ableger der Augsburger Allgemeinen ist. Ich gehe in die Küche, schalte mir das Licht an, schaue auf die Schlagzeile und staune: „Die Mauer ist gefallen“. Ich halte diese Meldung für eine Ente. Ich kann mir das nicht vorstellen. Wir hatten zu dieser Zeit keinen Fernseher und am Abend vorher war vermutlich irgendeine Veranstaltung, so dass ich nichts mitbekommen habe. Jedenfalls sind die Geschehnisse des 9.11.1989 an uns vorübergegangen. Natürlich hatten wir die Demonstrationen und politischen Diskussionen der letzten Monate genau verfolgt. Aber diese Wendung konnte ich mir einfach nicht vorstellen.

Ich lese die Berichte genau. Dann gehe ich zum Radio und höre mir die Nachrichten an. Überall die Berichte, Stimmen und Freudenschreie der Bevölkerung in der DDR über diese wunderbare Grenzöffnung. Mein Gedanke war noch: Und das ausgerechnet am 9.11.1938.

Heute vor 31 Jahren ist diese Grenzöffnung passiert und ich schaue mir die Fernsehbilder von damals immer wieder mal an. Mir kommen oft die Tränen. Wo ist der Jubel geblieben? Wo ist der Dank gegenüber der friedlichen Revolution? Auch wenn immer wieder der Hinweis auf die Nikolaikirche in Leipzig kommt, viele Menschen sehen dieses Ereignis nicht als ein Wunder Gottes. Ich schon. Ich glaube fest daran, dass hier die Gebete zu Gott diesen friedlichen Wandel herbeigeführt haben. Und dass heute viele diesen Mauerfall kritisieren und sich wieder diese Trennungslinie zurückwünschen? Alles schon mal ähnlich dagewesen.

Ich erinnere da an das Geschehen um die Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten. Ibn 2. Mose 16, 1 – 3a lese ich: „Von Elim zogen sie aus…am fünfzehnten Tag des zweiten Monats, nachdem sie von Ägypten ausgezogen waren. Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. Und sie sprachen. „Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen“. Gerade mal 45 Tage hat die Euphorie der Befreiung aus Ägypten gehalten. Dann fiel das Volk wieder in das Murren hinein.

Warum sollte es heutzutage anders ein. Dieses „Gott vergessen“ gehört offenbar zur menschlichen Natur, auch wenn ich persönlich darüber traurig bin. „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ (Psalm 18, 30).

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 238 vom 08.11.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Wenn der Kirchweihtermin zur Rechenaufgabe wird

Papa, wann feiern wir in Habelsee das Kirchweihfest?“ Diese Frage des kleinen Gerhard hat eine längere Antwort nach sich gezogen. „Ursprünglich feiern wir am Sonntag nach Michaelis das Kirchweihfest. Aber vor einigen Jahren hat ein großer Landwirt entschieden, dieses Fest nach hinten zu verschieben, weil die Zuckerrübenernte vorbei sein sollte. Und so feiern wir am zweiten Sonntag im November“. (Ob der Landwirt wirklich den Pfarrer und den Kirchenvorstand dazu gefragt hat, ist nicht überliefert. Notfalls handeln und entscheiden Menschen auch mal ohne die „geistliche“ Obrigkeit und ihr Lebensrhythmus bestimmt auch den kirchlichen Kalender). Eigentlich ist das eine klare Ansage. Aber ganz so einfach war das nicht. Denn dann ist mir aufgefallen, dass manchmal Ende Oktober gefeiert wurde und manchmal auch am ersten Novembersonntag. „Geh doch mal zum Nachbar, der wird Dir das genau erklären“.

So war es auch. Ich bin zum Nachbar gegangen und habe dann die genauen Daten erfahren. „Gerhard, das ist so. Wenn der Oktober fünf Sonntage hat, dann ist die Kirchweih am fünften Sonntag im Oktober. Das gilt aber nicht, wenn der fünfte Sonntag der 31.10. ist. Denn da feiern wir das Reformationsfest. Dann ist die Kirchweih am 07.11. und damit am ersten Sonntag im November. Wenn der Oktober vier Sonntag hat, dann feiern wir das Kirchweihfest am zweiten Sonntag im November. Ist doch gar nicht so schwierig, oder?“

Viele Jahre später stehe ich bei einer Konfirmation in Ohrenbach (Habelsee gehört kommunalpolitisch zu diesem Ort) am Schaukasten der politischen Gemeinde. Dort war der Jahresplan aller Feste in der Gemeinde aufgeführt. Es stand da: Kirchweihfest in Habelsee am 14.11. „Aha“, dachte ich. Nicht einmal der Bürgermeister kennt das genaue Rechenspiel der Kirchweih in Habelsee. Denn wenn der 14.11. ein Sonntag ist, dann ist zwar dieser Tag der zweite Sonntag im November. Aber dann ist der 31.10. der fünfte Sonntag im Oktober, aber gleichzeitig Reformationsfest. Ich habe mich noch am selben Tag an den Computer gesetzt und dem Bürgermeister eine Mail geschrieben. Er war richtig erstaunt über die Berechnung des Kirchweihtermines für Habelsee. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob die Gemeinde und die Kirchengemeinde den Termin damals noch geändert haben. Vermutlich schon, denn meine Mail habe ich im April dem Bürgermeister mitgeteilt. Da war noch genügend Zeit, den Termin zu ändern.

In diesem Jahr wäre es ziemlich einfach gewesen. Der Oktober hatte vier Sonntage und heute ist der zweite Sonntag im November. Also hätten die Habelseer heute am 08.11.2020 Kirchweih gefeiert, auch mit Coronapandemie!! Denn Gottesdienstfeiern sind erlaubt. Aber irgendwann vor ein paar Jahren wurde wieder auf den ursprünglichen Kirchweihtermin (Michaelis oder Sonntag danach, siehe mein Update 198 vom 29.09.2020) umgestellt. Der Zuckerrübenanbau spielt keine Rolle mehr!! Das Erntedankfest kann auch am zweiten Sonntag im Oktober gefeiert werden.

Was ich gelernt habe: Selbst das Festlegen eines genauen Kirchweihtermines kann zum Krisenfall werden – wenn auch nicht lebensbedrohend!!

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 237 vom 07.11.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Kennen Sie die Müllerstrahlen?

Gestern habe ich davon geschrieben, dass ich am Tag der Bekanntgabe des Nobelpreises für Physik in diesem Jahr vorher mit den Schüler/-innen der dritten und vierten Klasse in der Grundschule in Altensittenbach über dieses Thema gesprochen habe.

Meine Bemerkung nach dem ersten Träger dieses Nobelpreises hat noch eine Nachgeschichte. Die Kinder wollten natürlich den Namen wissen: Carl Röntgen. Ich habe der Klasse erklärt, dass dieser Mann in Würzburg diese Strahlen entdeckt hat. Er nannte sie X-Strahlen und 1901 erhielt er diese besondere Würdigung. „Diese Strahlen werden jetzt nach seinem Entdecker „Röntgenstrahlen“ genannt„. Bei dieser Erklärung von mir gab es einen kreativen Nachsatz eines Schülers. „Das ist ja witzig. Wenn das ein Herr Müller entdeckt hätte, dann wären die „Müllerstrahlen“ genannt worden“. Ich konnte ihm nicht widersprechen. Ich glaube aber, dass bei diesem „Allerweltsnamen“ die Strahlen vermutlich anders heißen würden.

Tatsächlich hat diese Entdeckung die gesamte medizinische Diagnostik revolutioniert und den Weg bereitet für die Entdeckung und Erforschung der Radioaktivität. Morgen sind es genau 125 Jahre, dass dieser Wissenschaftler diese bahnbrechende Entdeckung am 22.12.1895 gelang ihm eine Aufnahme von der Hand seiner Frau, bei der Knochen und der Ehering klar zu erkennen sind. Schon im Januar 1896 stellte er seine Entdeckung öffentlich vor und am 23. Januar wurde bei einem Vortrag im vollbesetzten Hörsaal des Physikalischen Institutes in Würzburg vorgeschlagen, diese X-Strahlen“ in „Röntgen-Strahlen“ umzubenennen. Bis heute ist diese Technik im Einsatz und erweitert worden. Auch wenn mittlerweile bekannt ist, dass mit diesen Strahlen vorsichtig umgegangen werden muss, sind sie aus der medizinischen Diagnostik nicht wegzudenken.

Das würde ich mir auch für den Coronavirus wünschen. Eine Methode zu finden, dass der Nachweis schnell geht und vor allem, dass es bald Hilfen geben wird, dass der Körper diesen Virus schneller und leichter besiegen kann.

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 236 vom 06.11.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Die Erde so groß wie eine Nuss, äh wie eine Erbse

Am 06.10.2020 fahre ich mit dem Fahrrad zur Grundschule in Altensittenbach. Der Religionsunterricht in der dritten und vierten Stunde liegt vor mir. In Gedanken gehe ich meinen Plan durch. Ich hatte ein Arbeitsblatt vorbereitet, das den Abschied Jesu von seinen Jüngern zum Inhalt hat. 40 Tage nach seiner Auferstehung versammelte er die verbliebenen Elf am Ölberg und verheißt ihnen die Kraft des Hl. Geistes. Dann nahm ihn eine Wolke auf und er war vor ihnen entschwunden. „Wie könnt Ihr Euch das vorstellen“ war meine nicht ganz leichte Frage. Aber ich war überrascht: „Nicht so wie eine Rakete. Jesus verschwand in einer Wolke und war dann in der unsichtbaren Welt bei seinem Vater“. Für eine Neunjährige war das eine sehr gute Antwort. Sie hatte offenbar in der Stunde vorher gut aufgepasst.

Was dann folgte, war aber nicht geplant. Wir kamen auf den Unterschied von „sichtbarer Welt“ und „unsichtbarer Welt“ zu sprechen. Den Unterschied von „sky“ und „heaven“ habe ich erklärt. Plötzlich waren wir beim Thema: „Universum, Urknall und schwarze Löcher“. Es gab lange Diskussionen. Ein Schüler meldete sich mit der Frage, warum es Farben gibt, wo doch das Universum schwarz ist. Also gab es von mir noch einen kleinen Abstecher in Richtung „Spektralfarben, Lichtbrechung, Regenbogen“. Ich habe mich als Absolvent eines Physikleistungskurses in meinem Element gefühlt. Albert Einstein habe ich auch genannt und dass er der Entdecker der Relativitätstheorie ist.

Schließlich kamen wir auf die Nobelpreise zu sprechen und ich habe die Schüler/-innen darüber informiert, dass der erste Träger dieser Auszeichnung im Fach Physik mit Conrad Röntgen ein deutscher Wissenschaftler an der Universität in Würzburg war. Ich habe noch den Zusatz gemacht, dass vor allem am Anfang der Vergabe der Nobelpreise viele deutsche Forscher ausgezeichnet wurden. Am Ende meinte ein Schüler, dass solch ein Religionsunterricht wirklich sehr spannend ist. Tatsächlich versuche ich zu vermitteln, dass Glaube an Gott mit all diesen Dingen des Lebens zu tun hat und dass ein Pfarrer „nicht nur die Bibel liest und kennt“.

Nach diesen beiden Stunden in Religion fahre ich mit meinem Fahrrad heim. Im Pfarramt gibt es wichtige Gespräche mit der Pfarramtssekretärin. Dann geht mein Blick kurz in die Nachrichten. Ich staune: Der deutsche Wissenschaftler Reinhard Genzel hat den Nobelpreis bekommen für die Forschung zu den schwarzen Löchern. Na, wenn das keine Punktlandung war!!!! Und welch ein Glück für mich! Ich hatte den Schüler/-innen erklärt, dass sie sich das mit den schwarzen Löchern vorstellen müssen als würde sich die Erde sich zusammen ziehen zu einer Größe wie eine  Nuss. In den Nachrichten wurde es erklärt mit dem Bild der Erbse! Aber dass die gesamte Erde so klein wird wie eine Erbse oder eine Nuss, spielt dann auch keine Rolle mehr. Das ist nur ein anderes Bild dafür. Irgendwie war ich dann doch zufrieden, so aktuell gewesen zu sein. Vor allem weil übermorgen ein besonderer Tag für einen deutschen Nobelpreisträger ist.

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 235 vom 05.11.2020

Tägliche Gedanken in einer schwierigen zeit, heute von Pfr. Dr. Siegfried Schwemmer

Zeit, dass sich was dreht

Wer jetzt nicht lebt,
wird nichts erleben.
Bei wem jetzt nichts geht,
bei dem geht was verkehrt.
Die Zahl ist gefallen,
die Seiten vergeben.
Du fühlst du träumst,
du fühlst du glaubst du fliegst
oeoeoe
bis zum Leben deoe …

Es wird Zeit, dass sich was dreht
Wer sich jetzt nicht regt
wird ewig warten.
Es gibt keine Wahl
und kein zweites Mal.
Die Zeit bereit
nicht zu vertagen
Du fühlst du träumst
Du fühlst du glaubst du fliegst.
Zeit, dass sich was dreht.
(Herbert Grönemeyer)

2006 war in Deutschland das Sommermärchen. Herbert Grönemeyer hatte den offiziellen FIFA WM-Song geschrieben.

Es gibt auch andere bemerkenswerte Texte von Grönemeyer. Zu meinen Lieblingssätzen gehört: Stillstand ist der Tod.

Ich ging als Pfarrer an einen neuen Ort. Die Uhr am Kirchturm stand lange Zeit still. Es war für mich ein Symbol. Erst als ich mich persönlich um die Uhr gekümmert hatte und sie reparieren ließ, konnte ich sie mit der aktuellen Jetztzeit synchronisieren.

Ich wünschte mir, und ich habe es öffentlich gesagt, dass wir als Kirche und Kirchengemeinde in der Gegenwart ankommen. Ich wollte nicht ständig hören: »Früher war alles besser«. Oder: »Es ist schon immer so und so muss es bleiben«.

Ich habe gefragt: Wünschen sich die, die immer die Vergangenheit beschwören, ohne die Erkenntnisse der modernen Medizin, an der Pest, der Cholera und anderen überwundenen Krankheiten zu sterben?

Reform ist für die Kirche der Reformation Prinzip und ständiger Prozess. Es gehört zum Wesen des protestantischen Prinzips, die eigene theologische und kirchliche Praxis immer wieder in Frage zu stellen: ecclesia semper reformanda. Die Kirche muss und soll sich immer wieder verändern und erneuern. Nur so ist und so bleibt sie wesentlich und lebendig.

Wie gesagt: Stillstand ist der Tod. Deshalb ist es Zeit, dass sich was dreht. Leben ist Bewegung!

Nachdem ich am Reformationsfest mein Anliegen öffentlich gemacht hatte, war ich angezählt. Meine Zeit an diesem Ort sollte bald zu Ende gehen. Die Widerstände waren groß. Der Geist der Erneuerung wurde mit allen Mitteln verhindert. …

Meine wissenschaftliche Beschäftigung mit Wilhelm Löhe (1808-1872), der ich mich widmen durfte, hat mich in meiner Haltung bestätigt:

Veränderung muss sein, wo man vorwärts geht,
und immer vorwärts bringt am Ende eitel Vorteil.
Nichts jämmerlicher als Stillstand.
(Wilhelm Löhe, GW 2,368)

Aus: Siegfried J. Schwemmer, Mut zur Veränderung. Christsein in der Gegenwart, KDP (Kindle) 2020, ISBN 979-8630915382, E-Book 8,90 €, Taschenbuch 9,75 €